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Weihnachten 1915

Event ID: 315

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Die Erinnerungen der Mutter des roten Kampffliegers Kunigunde Freifrau von Richthofen. Im Verlag Ullstein - Berlin, 1937.

24 December 1915

50.84890767354939, 16.476310886960174
Władysława Sikorskiego 19, 58-105 Świdnica, Polen
Swidnica
Schweidnitz

Source ID: 10

Die Erinnerungen der Mutter des roten Kampffliegers Kunigunde Freifrau von Richthofen. Im Verlag Ullstein - Berlin, 1937. p.  68 

“Das Schicksal meint es gut mit uns. Unsere Wünsche haben sich erfüllt. Gemeinsam feiern wir das Weihnachtsfest, fast könnte man sich in frühere, sorglose Zeiten zurückversetzt glauben. Wieder einmal stand ich mit meinen vier Kindern unter dem Lichterbaum. Ich setzte mich ans Klavier und spielte “Stille Nacht, heilige Nacht.”. Manfred und Ilse sangen prachtvoll mit, mit ihren schönen klaren Stimmen. Lothar (gänzlich unmusikalisch und ohne Stimme) hielt die Lippen geschlossen, aber um so heller strahlten seine Augen. Alle drei, auch Bolko, waren in Uniform; Ilse in ihrer Schwesterntracht… …Manfred konnte ebenfalls recht luftig, ja ausgelassen sein; es war herzerfrischend, wenn er über irgendeine komische Geschichte so unbändig lachen konnte. Ich mußte an ein luftiges, kleines Begebnis denken, Menzke, der Bursche, hatte es bei seinem letzten Hiersein in der Küche erzählt. Einmal, in Friedenszeiten, ärgerte sich Manfred darüber, daß die Gaffer in Klumpen jeden Tag am Kasernentor standen und seine Bemühungen, die Rekruten auszubilden, mit mehr oder weniger sinnvollen Kommentaren versahen. Für den nächsten Tag hatte er Menzke eine tüchtige Portion Knallfrösche bezorgt. Menzke mußte so tun, als habe er am Kasernentor zu schaffen und in gebückter Stellung – den Rücken gegen die Zuschauer – die Feuerwerkskörper zur Entzündung bringen. Knallen und Hopfen und Schreien durcheinander. Die erschreckten Gehleute rissen aus wie Schafleder, sich gegenseitig umrennend. Marktkörbe mit Äpfeln, Kohl und Eiern kollerten aufs Pflaster, die Gaffer verzogen sich, teils schimpfend, teils lachend. Um meisten aber lachten die Ulanen, Manfred schlug sich auf den Schenkel und konnte sich nicht lassen vor Heiterkeit – bisder Schwadronschef, dem selber das Lachen um die Mundwinkel zuckte, seinem erfinderischen Leutnant solche wirksamen aber allzu originellen Lektionen ein für allemal untersagte. Dieses jungenhaft übermütige tritt bei Manfred immer wieder zutage, er ist so unverbraucht, aber – es bestimmt nicht sein Wesen, etwas anderes in ihm überwiegt: männlicher Tatendrang, gepaart mit eisernem Willen und unbeirrbarem Zielbewußtsein. Ich sage absichtlich Zielsbewußtsein, denn ich glaube, daß er stets ein festumrissenes Ziel im Auge hatte, das er erreichen wollte und würde, einerlei aus welchem Gebiet. Tolles Draufgängertum war durchaus nicht Manfreds Art. Sein Lebensstil ist das “Erst wägen – dann wagen”. In einem klaren Kopf wurde ein Vorhaben gefaßt und als richtig erkannt – dann aber vermochte nichts mehr, ihn irre zu machen. An Mut und Energie, seine Pläne zu verwirklichen, fehlte es ihm nicht. Er konnte auch blitzschnell einen Entschluß fassen, er wußte immer sofort, was er tun mußte. Er schwankte niemals mit seiner Ansicht herum. Gern habe auch ich, trotz seiner Jugend, vieles mit ihm besprochen – wie man das sonst mit einem Familienoberhaupt tut. Manfred sah erstaunlich klar. Er riet mit volkommener Ruhe, die kaum zu seinem Alter zu passen schien, immer das Richtige. Es war wundervoll, etwas mit ihm durchzusprechen. Wenn man seine Ansicht hörte, konnte man beruhigt danach handeln. “Manfred hat immer recht” – das war auch Lothars unumstößliche Ansicht. Daran konnte ihn niemand irre machen. Es war Lothars Evangelium, seine Wegweisung im Leben. Es war für ihn eine Selbstverständlichkeit, daß Manfred en erster Stelle stand. Er kannte keinen Neid, er freute sich darüber. Unter und neben diesem Bruder fühlte er sich wohl, hier war sein Platz, hier wollte er stehen – und das mit vollem, ungeteiltem Herzen. Lothar liebte Manfred mehr als sich selbst, und es sind keine leeren Worte: wenn es darauf ankam, hätte Lothar ohne Zaudern sein Leben für das seines Bruders geopfert. Ein so treuer Freund war für Manfred von unschätzbarem Wert – es war gewissermaßen die Verstärkung seines eigenen Ichs. Lothar hatte Ruhe und Todesverachtung. Er war von beispiellosem Schneid. In diesem Punkt stand er keinen Schritt hinter Manfred zurück. Und wer in der Familie liebte nicht Lothar! Rührend geduldig war er mit seinem Schwerhörigen Vater; wie verstand er es auch, dem kleinen Kadettenbruder immer wieder eine Freude zu bereiten! Wie liebevoll war er gegen Mutter und Schwester! … Dieser Heilige Abend, den ich mit all meinen Kindern, mit meinem Manne unter dem Lichterbaum verleben durfte, stimmte mich dankbar und froh.”

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