Zeugnis von Hauptmann Erich von Salzmann
Event ID: 569
12 December 1917
Source ID: 55
“An einem jener schönen Frühlingstage des nördlichen Frankreich standen wir in Douai auf der Straße, als ein kleines, klappriges Auto hereingesaust kam. Mein Freund Hoffmann hob die Hand: ,,Da kommt Richthofen. Stopp!“ Das Auto hielt. Zwei junge Offiziere stiegen aus; der eine im kurzen, offenen Pelz, Haare nach außen, mittelgroß, gedrungen, stellte sich mir kurz und militärisch vor: „Richthofen.“ Das war er also, der Flieger, der anfing, so berühmt zu werden. Dort sah ich ihn zum ersten Male. Ich habe in meinem Leben ungewöhnlich viele Menschen kennengelernt, viele sind mir im Gedächtnis geblieben, viele habe ich vergessen. Richthofen war damals erst im Beginn seines glänzenden Aufstieges, vielleicht nur einer von vielen. Trotzdem fesselte er mich sofort. Es war da etwas in seiner Haltung, das besonders angenehm berührte. Jene typische, liebenswürdige Selbstverständlichkeit und Sicherheit des Auftretens, die angeboren sein muß, die man nie erlernen kann, war Richthofen in hohem Maße zu eigen. In dem Gesicht war eine ruhige, feste und doch freundliche Männlichkeit, ohne jenen ausgeprägten, entschlossener Zug, der sich bei manchen unserer jungen Helden, die im ständigen Kampf auf Leben und Tod stehen, herausgearbeitet hat. Er war damals noch Leutnant bei den Militscher Ulanen. Im Heeresbericht hatte er allerdings schon mehrfach gestanden. Sein Name begann, in breiteren Schichten des deutschen Volkes bekannt zu werden. Davon merkte man in seinem Auftreten nichts. Er war noch immer der bescheidene Offizier aus gutem Hause, der in einem angesehenen Regiment groß geworden war. Ich war damals noch für ihn der Hauptmann, der ältere Kamerad. Als wir über den Hof gingen, trat er links von mir, bat mich am Eingang voranzugehen. Ich habe ihn später oft wiedergesehen, besuchte ihn auf seinem Arbeitsfeld, und er war mein Gast in Berlin. Eine der schönsten Erinnerungen meines Lebens knüpft sich an Richthofen: ich konnte mit ihm fliegen. Und doch. Immer wieder war es dasselbe, die Formen, in denen der junge adlige Offizier erzogen wird, hafteten ihm so fest an wie die eigene Haut. Man merkte ihm den Kadetten an, nicht etwa in jener etwas übertriebenen Straffheit, in jener kurzabgehackten Sprache, die wartet, was der Ältere zu sagen hat. Nein! Eben immer wieder in jener schwer definierbaren, tadellosen Haltung, in den Gebärden, im Sprechen, im ganzen Auftreten. Es war immer etwas Beherrschtes. Stets hatte er einen freundlich lächelnden Zug um die Lippen. Wir saßen beim Liebesmahl bei ausgezeichneter Musik. Damals gab es noch Getränke. Nach alter guter schlesischer Sitte hatten wir den Humpen geschwungen und waren lustig geworden. Richthofen blieb derselbe. Nie wäre es bei Richthofen möglich gewesen, daß
er etwas getan, etwas gesprochen hätte, was nicht tadellos gewesen wäre. Trotzdem hätte kein Mensch von ihm sagen können, er sei gemacht oder geziert. Niemand ist wohl natürlicher gewesen als Manfred Richthofen. Später sah ich Richthofen hier in Berlin in meinem Hause mehrfach mit Damen zusammen. Auch da war es wieder die tadellose Form, die Natürlichkeit, die den Frauen so gefiel. Er war kein Damenmann in dem bekannten Sinn des Wortes. Alles andere als das war er. Er war fast die Verkörperung moderner Männlichkeit, aber die Damen hatten ihn gern, trotzdem er ihnen niemals den Hof machte in jener Art, wie es mancher berühmt gewordene junge Kavalier gern tut. Wir waren einmal zusammen auf dem Rennen im Grunewald – eine Weile blieb er unerkannt. Er war am Morgen in Johannistal gewesen, hatte neue Flugzeuge ausprobiert, und sein „Dreß” war eigentlich nicht sehr rennbahnmäßig elegant. Überhaupt gab Richthofen wenig auf Äußerlichkeiten, trotzdem er nicht etwa etwas darin suchte, vernachlässigt auszusehen. Plötzlich erkannten ihn die Menschen. Die Photographen kamen. Ich habe andere junge Berühmtheiten in solchen Augenblicken gesehen, die sich zierten und posterten. Nichts von alledem bei Richthofen. Die vollkommen selbstverständliche Sicherheit seines Auftretens war auffallend. Die jungen Mädchen stürzten auf ihn zu. Er sollte seinen Namen als Erinnerung aufs Programm schreiben. Richthofen sagte mir achselzuckend: „Was soll ich nur machen?“ Ein anderer wäre weggegangen. Richthofen schrieb ruhig, geduldig, immer mit demselben freundlichen Lächeln. Der Mann war sicherlich gegen sich selbst so hart wie kaum ein anderer, er beherrschte sich selbst, darum herrschte er über die anderen. Und doch! Sein Gemüt war weich, er war gutmütig und stets freundlich. So war er. So blieb er während seines glänzenden Aufstieges. So ist er in den Tod gegangen. Wir brauchen solche Leute. Sie sind der beste Typ des preußischen Offiziers. Sie find die Vorbilder für kommende Offiziersgeschlechter. Sie find die Träger alter, schöner Überlieferungen – Üiberlieferungen, auf die wir stolz sein müssen, und auf die unsere Kinder und Enkel noch viel stolzer sein werden als wir und unsere Väter, die den großen Krieg gegen Frankreich schlugen, es je gewesen sind. Richthofen verkörperte das alles. Er war ein typischer Abkömmling ostelbischen Adels mit allen seinen guten Eigenschaften. In seinem gedrungenen, hart ausgearbeiteten Körper lebte dasselbe harte, fast kalte Pflichtbewußtsein, das die Zehntausende der Abkömmlinge unseres preußischen Adels auf alle Schlachtfelder Europas im Dienst ihres Herrn geführt hat und sie dort bluten ließ. Richthofen war innerlich und äußerlich ein einfacher Mensch, eine gerade, vornehme Natur. Ihm war jedes prunkende Auftreten, jedes Gemachte, vollkommen fremd. Er hätte nie eine Unwahrheit sagen können. Was er tat, was er sprach, trug den Stempel der Natürlichkeit an sich. Und doch war es nicht nur die herkömmliche Überlieferung der Kreise, denen er entstammte, die er durch seine Art verkörperte. Es war mehr. Immer wieder, wenn ich ihn wiedersah, mußte ich gestehen: so kann nur Richthofen sein, ein Einzelmensch. Von seinen Ahnen väterlicher- und mütterlicherseits, Männern, die auf ihrer eigenen Scholle in den schönen schlesischen Landen saßen, war ihm die Lust zum Weidwerk überkommen. Es war nicht jene unbändige Leidenschaft, Tiere zu töten, die ihn trieb. Vertretern dieser Art Menschen bin ich oft in fremden Ländern, besonders in den Tropen, begegnet, Männern, die nur ihr Jagdbuch kannten und den Rekord, mit dem sie irgendeinen anderen berühmten Jäger schlagen wollten. So war Richthofen nicht. Dieses Empfinden, das Empfinden des Rekords, war ihm ganz fremd, trotzdem in ihm sicherlich ein glühender Ehrgeiz saß, aber nicht jener Ehrgeiz des Neides. Die Angst, ein anderer hätte es besser machen können als er, war ihm ganz fremd. Schon jung hatte er die Büchse in der Hand gehabt. Er war ein Schütze geworden, der sein Ziel nie fehlte. Etwa vor Jahresfrist sagte er mir auf meine Frage, worin er selbst seine Überlegenheit gegenüber seinen Feinden sähe, daß
diese hauptsächlich im kaltblütigen Schießen bestände. Ich erinnere mich sehr gut, daß er mir einmal im Mai 1917 erzählte: „Wenn ich den Feind gegenübersehe, dann gehe ich rücksichtslos nahe heran, und wenn ich das Weiße in seinen Augen erkenne, dann schieße ich. Dann muß er fallen, dessen bin ich sicher.“ Später, mit Vervollkommnung der Apparate, änderte er seine Taktik und versuchte in der Hauptsache, den Feind durch geschicktes Manövrieren von hinten zu fassen, um ihn dann abzuschießen. Er kannte keinen Haß gegen seinen Feind. Er sah nicht rot, wie es manchem in der Aufregung des Kampfes ergehen mag. Er hätte sich nie hinreißen lassen, eine Unklugheit zu begehen, dazu war er zu kühlen Temperaments. Er überlegte alles genau, was er tat. Und trotzdem, seine Entschlüsse müssen in den Bruchteilen von Sekunden, in denen er sie fassen mußte, stahlhart gewesen sein. Es gab für ihn kein Schwanken und kein Zaudern. Er hatte den festen Willen, der da drüben muß fallen, und der stärkere Wille zwang den Feind in Richthofens Suggestion. Er sagte mir einmal von seinem jüngeren Bruder, der bei ihm lernte: „Jetzt kann er schon ganz gut. Ich werde ihn bald einmal loslassen. Nur habe ich Sorge, er geht mir zu scharf heran; wenn er den Feind vor sich hat, dann sieht er fast rot. Das darf er nicht.“ Richthofen war sehr sorgfältig in der Behandlung seiner Maschinen. Er prüfte aufs genaueste, ehe er startete. Er war sich wohl bewußt, daß man sein Handwerkszeug beherrschen muß, wenn man etwas leisten will. Er wäre nicht eher aufgestiegen, bevor nicht alles in der tadellosesten Ordnung war. Den Leichtsinn, der manchen jungen Flieger in vorzeitigen Tod trieb, kannte er nicht. Sicherlich ist es kein Fehler an seiner Maschine gewesen, der ihn so tief zur Erde herunterstoßen ließ, wie es bei seinem letzten Fluge geschah. Richthofen hatte ausgesprochenes Glück. Er schien fast geseit. Ich habe zweimal vor Arras Richthofen zurückkommen sehen mit wohl sicherlich mehr als einem Dutzend Treffern in seiner Maschine. Wenn ein anderer Flieger einen Schuß durch den Motor bekommt, dann kann er meist ruhig sein letztes Stoßgebetlein gen Himmel schicken, dann muß Gott ihm gnädig sein, denn die Stunde des Flammentodes ist da. Richthofen hat mehr als einmal ein Infanteriegeschoß durch den Motor bekommen. Blitz- schnell erkannte Richthofen den Schaden und stellte den Motor ab. Einem anderen wie ihm wäre sicherlich das Flugzeug in Flammen aufgegangen. So schien er wirklich
unverwundbar. Er wuchs mit der Zeit. Er war lange nicht mehr nur der einzelne glänzende Kämpfer, nicht mehr jener Herrscher der Luft, der mit seinem roten Flugzeug der Schrecken aller Feinde war, der, wenn er gemeldet wurde, das Feld bald frei fand; denn trotz des hohen Kopfpreises, den die drüben auf ihn gesetzt hatten, floh man vor Richthofen und seiner überlegenen Kunst. Er wurde zum Führer. Sein Geschwader zeichnete sich bald vor anderen aus. Er führte es von Sieg zu Sieg. Wie der einzelne Mann, so wurden die um ihn der Schrecken der Feinde. Da spürte man, was man bis dahin nicht wußte: In diesem Manne steckt mehr als nur ein Kunstschüße, als nur kühle, ruhige Überlegung und blitzschneller Entschluß. In diesem Mann steckt ein Führer, einer jener Offiziere, denen die Gabe der Führung angeboren ist. So wurde er zum Lehrer vieler anderer, ohne es zu wollen, nur durch sein Beispiel, durch seinen Befehl. So führte er schließlich ein ganzes Geschwader mehrerer zusammengefaßter Staffeln. Richthofen wußte ganz genau über den Stand des Flugwesens Bescheid. Trotzdem er vielleicht kein
vollendeter Techniker war, war er sich über die Fehler, die im Prinzip des Flugzeugbaues gemacht wurden, vollkommen klar und gab sein ruhiges, nüchternes Urteil. Er wußte, daß es nichts Vollkommenes auf Erden geben konnte. Am Vergleich lernte er. Er unterschätzte den Gegner nie und wurde ihm stets gerecht. Die Stärken und Schwächen des Gegners erkannte er, wenn er in der Luft mit seinen Adleraugen, die weiter und schärfer sahen als die eines gewöhnlichen Sterblichen, blitzschnell den Gegner erspähte. Er tarierte den Gegner richtig, das gab ihm einen
großen Teil seiner Überlegenheit. Mehr und mehr beschäftigte er sich mit dem Flugwesen überhaupt, mit dem Luftkampf im großen. Schon als ich ihn im vorigen August in der Heimat sah, sagte er mir, daß wir schweren Zeiten entgegengingen, daß der Feind mit seinen Konstruktionen uns hart auf den Fersen und mit manchem bereits überlegen sei. Er wußte das ganz genau einzuschätzen. Trotzdem ging er immer wieder mit größter Freude an seine Pflicht heran, und die Zeit, die er in der Heimat verbrachte, war ihm nur eine Unterbrechung der so lieb gewordenen Tätigkeit am Feinde. Er, ein Richthofen, gehörte vornhin, dort, wo die Richthofens immer gestanden haben, wenn es galt, das Vaterland zu verteidigen, unmittelbar am Feinde! In der Heimat haben sicherlich Hunderttausende den Weg dieses Mannes mit Sorge verfolgt, mit dem Gedanken: wenn er doch einmal an sicherer Stelle stände! Er konnte nicht. Er hat es mir oft genug gesagt: „Ich muß dort vorn hin, ich kann nicht hinten bleiben.“ So starb er, ein Vorbild für Hunderte, Tausende, die nach ihm kommen und die Luft auf Flugzeugen durchqueren werden. Eine Verkörperung vornehmsten Preußentums, ein Edelmann voll Vaterlandsliebe und Pflichttreue, ein junger Held, wie ihn sich das Volk als Idealgestalt eines Offiziers vorstellt, dem unsere Jugend einmal nachahmen wird. Er wird aber der eine bleiben, fast unnachahmlich. Wenn dieser Weltkrieg zu Ende gegangen sein wird, dann wird man von diesem jungen Menschen, der nur ein Vierteljahrhundert Sommer erblickte, sagen: „Es hat nur einen Richthofen gegeben!“”
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