Ein Flug im Fesselballon
Event ID: 578
17 February 1918
Source ID: 55
“An einem schönen Februartage setzte ich das schon immer von mir geplante Vorhaben, in einem Fesselballon einen Aufstieg zu machen, in die Tatsache um. Ein jugendlicher Herr meines Geschwaders, der den gleichen Wunsch hatte, schloß sich mir an. Wir fuhren in die Gegend von Cambrai zu einem uns unbekannten Luftschiffer und trugen ihm unsere Bitte vor. Eine absolute Lebensversicherung ist schließlich nichts im Kriege, auch nicht einmal der Fesselballon, denn auch diesem trachtet der Flieger nach dem Leben. Die Gasnullen steigen im allgemeinen nicht besonders hoch. Das tun sie nicht etwa aus Angst vor dem bösen Feind, sondern weil sie nicht anders können. Eintausendfünfhundert bis eintausendsechshundert Meter ist so etwa das Normale. Bei ruhigem Wetter spielt sich so ein Aufstieg ziemlich einfach ab, ich will nicht sagen uninteressant, aber wenig Nervenkitzel ist dabei.
Der Tag, an dem ich flog, war absolut ruhig. Bei starkem Wind soll man sehr leicht seekrank werden. Kommandomäßig wurde die Gasblase von sehr vielen Menschen losgelassen und ging in einem ziemlich schnellen Tempo in die Luft. Man steht in einem kleinen Korb drinnen und belinst die Gegend. Ich habe immer geglaubt, man sähe sehr viel mehr in dem “Auge der Armee”, wie man die Luftschiffe ja oft nennt. Ich habe furchtbar wenig gesehen. Es ist so ungefähr wie im Flugzeuge, wenn ich eintausend Meter diesseits fliege. Da sehe ich eben auch nichts Genaues. Ich sah zwar die vordesten englischen Linien, Artilleriestellungen des Gegners und weit darüber hinaus. Aber das ganze Bild ist verzerrt. Ich bin jedenfalls als Flieger und früherer Beobachter an bessere Sicht gewöhnt. Die Luftschiffer waren aber absolut beruhigt über das, was sie sahen, und meinten, mehr zu sehen, wäre nicht möglich. Photographien, die sie gemacht hatten, boten allerdings einen geradezu wunderbar schönen Anblick dar. Die interessanteste Sache am ganzen Fesselballon ist ja natürlich, wenn das Ding einmal angegriffen wird und der Insasse herausspringen muß: der berühmte Sprung ins Ungewisse. Der Entschluß wird ihm ja verhältnismäßig leicht gemacht, da die Gasnulle über ihm so langsam anfängt abzubrennen, und, wenn er sich eben nicht entschließt herunterzuspringen, er ein sicheres Kind des Todes ist. Dann schon lieber das “Ungewisse” als den sicheren Tod. Im übrigen ist die Sache gar nicht mal so ungewiß, denn es passiert kaum ein Unglück dabei. Der jugendliche Mann, mit dem ich da war, konnte es sich nicht verkneifen und mußte herausspringen. Er tat dies nicht aus Naßforsche, sondern lediglich aus Passion. Er meinte, es wären zu schöne, romantische Momente, die es dabei gäbe, und die dürfte sich ein junger Mann nicht entgehen lassen. Er stieg zu diesem Zweck allein auf, beschaute sich erst eine Weile die Gegend, dann sah ich ihn durch mein Glas über den Rand des Korbes wegvoltigieren, und, um das Romantische recht lange auszunutzen, baumelte er erst noch eine Weile mit den Beinen außerhalb des Korbes; dann ein kurzer Entschluß und; er stürtze ab. Der Absturz dauerte aber nicht lange, denn nach wenigen Metern hatte sich bereits der Fallschirm entfaltet. Er beschrieb es mir, er wäre nur ganz kurze Zeit frei gefallen, was natürlich nicht sehr angenehm gewesen sie. Plötzlich hatte es einen kolossalen Ruck gegeven, und er hing, unter den Armen festgeschnallt, am Seile des Fallschirmes, ein absolut sicheres Gefühl. Und nun, wie er meinte, wäre es zu romantisch gewesen, wie er sich langsam der Erde näherte. Da gar kein Wind war, kam er ganz dicht von meinem Stand aus auf dioe Erde wieder zu. Als ich den Herunterkommenden schon gegen den Horizont vergleichen konnte, fiel es mir auf, daß der Fallschirm sehr schnell herunterkam. Ich glaubte, mich zu täuschen, aber meine Empfindung stimmte. Er schlug unten ziemlich kräftig auf und verstauchte sich vorschriftsmäßig das linke Bein, war aber trotzdem beseligt. Ich fand es eigentlich ziemlich überflüssig. Wenn der Fallschirm sich nun nicht entfaltet hätte, hätte er sich für nichts und wider nicts das Genick gebrochen. Aber tiefbefriedigt verabschiedeten wir uns von der lächerlichen Konkurrenz, bestiegen unser Flugzeug und flogen nach Haus.
This Post Has 0 Comments