An der Westfront
Event ID: 613
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14 April 1917
Source ID: 54
“Als der junge Held Boelcke fiel, ging ein tiefes Trauern durch das deutsche Volk und das Gefühl: “Wir werden nimmer seinesgleichen sehen.”
Aber das Gelöbnis, das die Fliegertruppe am Grabe Boelckes ablegte, seinen Geist lebendig zu erhalten und ihm allezeit nachzueifern mit allen Kräften des Geistes und Körpers, dieses Gelöbnis hat sie treulich gehalten.
Aus der großen Zahl seiner Schüler sind neue erfolggekrönte Kämpfer erstanden, und mit ihnen als erster der, den das Volk in den letzten Monaten mit einem ebenso jähen Flug zur Sonnenhöhe des Ruhmes hat emporsteigen sehen, und der ganz wie Boelcke neben sich auch einen Kreis glänzender, von demselben Geist durchglühter, von ihm zur erfolgreichsten Nacheiferung angespornter engerer Genossen herangebildet hat.
Ich brauche seinen Namen nicht erst zu nennen; jedermann im Volk jauchtzt heute dem Freiherrn von Richthofen zu, den der Kaiser jüngst zum Rittmeister gemacht hat. Und ehrenvoll hebt der heutige Heeresbericht neben ihm seine ganze Jagdstaffel hervor, die gestern von den an der ganzen Westfront herabgeschossenen feindlichen 24 Flugzeugen allein 14 zur Strecke gebracht hat.
Ein glücklicher Zufall führte mich gerade am Abend von diesem Tage als Gast zu der jagdstaffel Richthofen.
Es dunkelte bereits, und so sah ich an diesem Abend nur die hübschen Kafinoräume, die ein kunstverständiges Mitglied der Staffel selber mit Sorgfalt und Geschmack durch Wandbespannungen, Teppiche und Bilder wohnlich und behaglich gestaltet hatte.
Ähnlich behaglich waren auch die einzelnen Wohnzimmer der Offiziere eingerichtet.
Richthofens Wohnung wurde mir von seinem Kameraden mit besonderem Stolz gezeigt. Sie war mit den Trophäen seiner Laufbahn, den farbigen Nationalzeichen der von ihm abgeschossenen Flugzeuge und anderen Teilen derselben verziert. An der Decke hing, geschickt zu einem mehrarmigen Kronleuchter umgearbeitet, ein feindlicher Gnome-Motor, über der Tür das Maschinengewehr seines gefährlichsten Gegners, des englischen Majors Hawker, der einer der erfolgreichsten englischen Kampfflieger gewesen sein soll.
Diese Wohnlichkeit des Heims – die sie sich übrigens gegen die stete Gefahr feindlichen Bombenwurfs verteidigen müssen – ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Denn nur die unbedingteste, durch körperliches und geistiges Wohlbefinden gewährleistete Herrschaft über die Nerven ermöglicht es, den außerordentlichen Anforderungen des Luftkampfes zu entsprechen.
Dem historischen Sinn macht es Freude, in der Geschichte unseres Volkes immer wieder dieselben Namen alter Geschlechter mit Auszeichnung hervortreten zu sehen. Wie sind, um nur etwas herauszugreifen, die Familien der Bülow, Goeben, Alvensleben usw. mit den Kriegen Preußens verknüpft und auch sonst mit seinem Leben und Wesen; wer Fontane kennt, der weiß das.
Auch die Richthofens sind unserem Volk schon viel gewesen. Vor allem für die engere schlesische Landschaft, wo sie mit vielen Zweigen sitzen. Sie find bisher weniger auf soldatischem als auf anderen Gebieten hervorgetreten. Jetzt war durch diesen jungen Offizier vor mir auch das geschehen.
Ich sah ihn mir während des Abendessens mit heimlicher Freude an. Er war wie Boelcke nur mittelgroß, kräftig gebaut, sein Kopf mit der gewölbten Stirn und den germanisch hellen und blauen Augen – deren Ausdruck auffallend an die Boelckes erinnerte – setzte mich in Verwunderung durch die fast rosige frische der Farbe. Da stand nichts geschrieben von der ungeheuren Nervenanspannung, die mit den täglichen Einzelkämpfen auf Tod und Leben verbunden gewesen ist.
Auch sein ganzes Wesen war von einer überraschend ruhigen, zurückhaltenden, fast zarten Art, überaus wohltuend sein und ganz einfach, ohne einen Schatten von Ruhmredigkeit, wenn auch der freudige Stolz auf seinen jungen Glanz in der Seele erkennbar war – und seine Ruhe hätte gemacht sein Mûssen, wenn das nicht so gewesen wäre. Einzig das stark gebildete Kinn vielleicht verriet, wie er auf seine ganze Umgebung wirkte, die an ihrem Führer sichtlich mit einer ganz eigenartigen Mischung von froher Kameradschaft, begeisterter Bewunderung und absolutem Fügen hing…
Meine Frage, ob er seine Erfolge einer besonderen Technik im Luftkampf zuschreibe, verneinte er ganz entschieden. Irgend etwas Derartiges habe er nicht. Natürlich müsse man seine Machine beherschen; auf besondere Kunstfliegerei, überraschende Sturzflüge, “Loopings” und dergleichen lege er aber kein Gewicht und fördere sie auch in seiner Staffel nicht. “Rangehen”, das sei alles.
In Fliegerkreisen hatte ich früher als die physische Grundlage der Erfolge Boelckes wie Immelmanns eine eigentümliche Fähigkeit dieser beiden schildern hören, plötzliche Stürze durch große Höhen- und damit Luftdruckunterschiede, die bei anderen sekundenlange Benommenheiten hervorbrächten, ohne jede Bewußtseinsstörung zu überstehen. Sie sollten daher imstande gewesen sein, den Gegner unversehens von oben her zu überfallen und zu erlegen, ehe er selbst recht zum Erfassen seiner Lage gelangte.
Richthofen lächelte darüber. Er glaubt nicht, daß Boelcke durch eine besondere physische Gewappnetheit gegen atmosfärische Einflüsse einen rein körperlichen Vorsprung vor anderen gehabt habe; Boelcke sei ja vielmehr sogar Asthmatiker gewesen.
Ihm selbst sei die ganze Vorstellung einer Bewußtseinstrübung durch rasche Druckunterschiede überhaupt unbekannt; er verspüre auch bei den größten und raschesten Höhenabstürzen nicht die geringsten körperlichen Beeinträchtigungen.
Im Laufe des Gespräches fragte ich ihn, ob er nach solchem Luftkampf sich in außergewöhnlicher Erregung, in einer Vibration des ganzen Nervensystems befinde. “Nein”, meinte er, “das kann ich durchaus nicht sagen. Ich bin nur am Ende eines Tages, wo ich mehrmals geflogen bin, einfach ganz hundemäßig müde und sehne mich nach dem Bettzipfel.”
Er geht in der Tat stets sehr früh zu Bett. Auch heute tat er es bereits vor zehn Uhr. Nachher sagten mir seine Kameraden, die an ihrem Führer mit einer ganz eigentümlichen und wunderhübschen Mischung von Freundschaft, Bewunderung und Stolz hingen, einiges, worin sie das Geheimnis seiner Überlegenheit sähen.
Vor allem habe er ein fabelhaftes Auge, das geradezu ein Phänomen sei. Er sehe stets doppelt und dreimal so viel und so scharf wie die anderen. Wenn noch niemand am fernen Himmel feindliche Flieger gewahren könne, er entdecke sie, ihre Zahl und Art genau, und sein Auge lasse sie in dem flimmern der Luft nicht wieder los. Dieses Jägerauge helfe ihm auch bei Flug und Schuß.
Ein zweites sei seine unbändige Entschlossenheit und Zähigkeit. Er gehe immer sofort und geradeswegs auf den ins Auge gefaßten Gegner los und lasse ihn nicht wieder locker, bis er erledigt sei; der Gedanke, daß auch er getroffen werden könne, scheine gar nicht in seinen Sinn zu kommen.
Wie bei Boelcke erschöpft sich Richthofens Wirksamkeit und Wert für uns aber, wie schon gesagt, nicht in seinen persönlichen Kampfleistungen, sondern er hat sich in seiner Staffel auch eine Schüler- und Gehilfenschar geschaffen, die er, von Boelckeschem Geist erfüllt, zu den höchsten Leistungen anspornt.
Neben der im August vorigen Jahres aufgestellten Jagdstaffel Boelcke, die seitdem diesen Namen weiterträgt und ihm Ehre macht und heute – das heißt, am Tage, von dem ich rede – mit 130 gefällten Gegern weitaus an der Spitze unserer Kampfflugzeuggeschwader steht, hat sich die Jagdstaffel Richthofen seit Januar bereits zur zahl 70 erhoben.
Von der etwas größeren Schar der Staffel waren heute neun Fliegeroffiziere zugegen. Alle ganz junge Menschen, keiner anscheinend älter als der Führer, die meisten schienen etwa 22 bis 23 Jahre.
Unter ihnen dem Fûhrer an Fliegerruhm am nächsten kam Leutnant Schäfer, ein hoch und schlank gewachsener Mann, der 16 Feinde besiegt hatte. Sodann der junge, bewegliche und humoristische Leutnant Wolff mit 9. Seit kurzem hatte der Führer auch seinen jüngeren Bruder, Leutnant Freiherr Lothar von Richthofen, in seine Staffel ausgenommen und flog gern gemeinsam mit ihm.
Auch in den anderen, die noch nicht die gleichen Leistungen aufweisen konnten, lebte doch unverkennbar der Stolz, zu dieser Staffel zu gehören. Es war eigentlich ein ganz merkwürdiger Eindruck, zumal für mich als Hochschullehrer, der gewöhnt war, Jünglinge dieses Alters als Studenten um sich zu sehen, diesen Kreis junger Männer hier zu beobachten, die in ihrem jugendlichen Äußeren, in der frische und harmlosen Heiterkeit ihres Wesens, in ihrem Scherz und ihrer Wärmen sich ganz so wie einfache, fröhliche, gute Jungen darstellten, und das auch ohne Frage sind – und die jetzt doch zugleich bewunderte Helden waren, die doch jeder von ihnen mehr als einen Menschen in gefahrvollstem Einzelkampf hoch über dem Erdboden besiegt hatten.
Eines erkannte ich: es ist doch eben gerade die große Jugend, die im Vollbesitz ihrer Nervenelastizität ist und nur lebt und handelt, die das leisten kann, was wir von unseren Kampffliegern leisten sehen…
Sehr verschieden war die Charakteristik, die sie ihren französischen und englischen Gegnern zuteil werden ließen.
Den französischen Flieger schienen sie als Gegner weniger hochzuachten als den englischen. Der Franzose fliege geschickt, sie aber überaus vorsichtig, und es komme darauf an, ihn zum Luftkampf überhaupt zu stellen oder ihn zu überraschen.
Ganz umgekehrt der Engländer, der immer und unbedingt jeden Kampf annehme, den man ihm biete; in dessen Hirn der Gedanke, daß es anders sein könnte, gar nicht möglich scheine, oft, wenn es sogar geradezu dumm wäre, nicht aus dem Wege zu gehen. Die englischen Flieger seien durch die Bank außerordentlich verwegen, oft besser eigentlich unbesonnen, so daß man annehmen müsse, es herrsche bei ihnen eine äußert harte Diziplin, oder sie denken überhaupt nicht viel und gehen, wenn ein Befehl vorliegt, einfach los…
In der Morgenfrühe des 13. spannte sich frosthelle Luft und ein wolkenloser Himmel über dem Flugplatz und der weiten Ebene. Flugwetter ! Der Kanonendonner der Arrasschlacht hatte in den letzten Tagen abgeebt; während der nacht hatte es nur ab und zu ein wenig gerollt, obwohl wir von der Front nur wenige Kilometer entfernt waren, und heute in der Frühe war in der heiteren, sonnendurchglänzten Luft überhaupt nichts zu hören. Aber die Flieger blinzelten in die flimmernde Bläue hinauf, wie in animalischer Witterung, und schauten ihren Führer an.
“Heute wird es regnen”, sagten sie und lachten. Als wir zum Startplatz schritten, glänzten rings im tauenden Reif die niedrigen Schuppen und Häuschen des Flugplatzes wie frisch gewaschen. Am Rand des freien Flugfeldes standen fünf Doppeldecker in einer Reihe zum Abflug bereit; ein sechster, der des Freiherrn von Richthofen, etwas vorwärts zur Seite. Alle waren eines Typs, kurz und gedrungen und kleiner, als ich sie bisher gesehen.
Und, was noch mehr gegen frühere Zeiten abstach, alle verschieden bemalt. Wie bunte schillernde Rieseninsekten, wie ein Schwarm leuchtender Schmetterlinge, die sich mit ausgebreiteten Flügeln am Boden sonnen, sahen sie von weitem aus. Das Prinzip, sich möglichst luftfarbig zu machen, war hier ganz verlassen.
“Unsichtbarkeit”, erklärte mann mir, “erreicht man doch nicht, wohl aber läuft man Gefahr einer Verwechslung feindlicher und befreundeter Flugzeuge. Diese verschiedenen Zeichen auf den Rümpfen sind in der Luft deutlich sichtbar, man erkennt sich während des Kampfes und kann sich unterstützen.” Deshalb hatte jeder der Flieger siener persönlichen Maschine, mit der er immer flog und mit der er verwuchs wie mit einem lebenden Wesen, eine besondere Zeichnung gegeben, die es seinen Kameraden erlaubte, ihn beim Luftkampf im Auge zu behalten und stets zu wissen, wer die Maschine lenkte. Das eine Flugzeug hatte einen weißen oder roten oder sonstwie gefärbten Streifen, ein anderes trug ihn quer oder längs und so weiter. Aus Richthfofens Augen lachte etwas wie der Stolz des Ritters, der seinen Schild und seine Helmzier beim Gegner gekannt und gefürchtet weiß. “Ich erreiche so, daß mein Geschwader stets sieht, wo ich bin.”
Wirklich, wir empfinden schon sowieso sehr stark, wieviel alte Ritterlichkeit im modernen Luftkampfwesen wieder lebendig geworden ist; hier die persönliche Kennzeichnung der Rüstungen durch weit leuchtende Zeichen vermehrte den Eindruck noch. Diese jungen Streiter zogen wirklich ganz so ninaus wie die mittelalterlichen Herren, von denen der Chronist Froissart aus dem 14. Jahrhundert so farbenreich erzählt, mit ihren Schimmernden Bändern, Wappen und Standarten, die sie und ihren Stolz kenntlich machten auch bei geschlossenem Vizier.
Einer nach dem anderen, die zum Starten bestimmt waren, warf sich in seine Fliegerkleidung, die wie ein Mittelding von Taucher und holländischem Fischer aussah, und schlenderte, die Hände in den weiten Hosentaschen, lachend und scherzend zwischen den von den Flugzeugwarten startbereit gehaltenen Maschinen herum oder umstand das große Fernrohr, mit dem der Himmel sorgsam beobachtet wurde.
Auch Richthofen hatte die Tracht bereits angelegt und durchmusterte bloßen Auges aufmerksam das Firmament. Mit einem Male – ich selbst gewahrte oben im flirrenden Blau nirgends das geringste – wandte er sich rasch zu einer aufgehängten Glocke und läutete Alarm. Im Nu sprangen sämtliche Monteure zu ihren Apparaten; jeder Flieger eilte zu dem seinigen, gestieg den Sitz, die Propeller donnerten los, eins nach dem anderen der kleinen, schnellen Flugzeuge rannte anfahrend eine Strecke über den Erdboden dahin, löste sich los von ihm und stieg dann rasch ins Blau empor. Zuletzt Richthofens Maschine.
Die zurückgebliebenen Flieger, die Flugzeugwarte, die Ordonnanzen und Wachmannschaften, alles verfolgte nun mit größter Spannung die Vorgänge am Himmel. Jetzt erkannte auch ich, erst durch das Glas, dann ohne das, ein Geschwader englischer Flugzeuge; mindestens sechs, vielleicht mehr. Ich muß te sie scharf im Auge behalten, sosnt verlor ich sie sogleich wieder in der flimmernden Helle.
Die Flieger sahen anders. Sie erkannten und benannten die einzelnen Typen, und sie riefen empört: “Welche Frechheit! Die kommen in kaum mehr als 2000 Meter Höhe hier an! Was stellen die sich denn vor?”
Die Engländer schienen jetzt zu stutzen und die Gefahr, die ihnen nahte, zu erkennen; sie kreisten unruhig durcheinander. Es dauerte nur wenige Minuten, da hatten die Unsrigen die gleich oder eine noch größere Höhe erreicht. Aus der Luft erklang das scharfe Geknatter des Maschinengewehrs; der Gegner hatte den Kampf angenommen. Alle Flugzeuge bildeten einen weit ausgezogenen Schwarm heller, durcheinanderkreisender Punkte.
Meine Nachbarn begleiteten mit lebhaften Reden und Gebärden alle Phasen des Kampfes. “Da ist Richthofen! Sehen Sie ihn nicht? Dort oben!’ “Da ist Schäfer! Donnerwetter, er ist dicht hinter dem Kerl! Er lߨt nicht locker!” “Das da muß Wolff sein! Ja, das ist er!”
So und ähnlich flogen die Rufe durcheinander. Plötzlich ein gemeinsamer Triumphschrei – hoch am Firmament leuchtete ein stark flammender Punkt auf. “Ein Engländer brennt!”
Bei Gott, welch phantastisches, furchtbares Schauspiel! Der Feuerpunkt vergrößerte sich rasch. Was für ein Glut mußte das sein, die das augenblendede Himmelslicht so überstrahlte und weißglühend am Himmel stand. Dann glitt der leuchtende Fleck abwärts, er zog sich aus zu einer langen Flammenlinie, die wie ein riesiges, orangefarbenes Meteor über den Himmel strich – über den Tageshimmel.
Es war unleugbar schön, so schön, wie ich kaum je etwas gesehen. Und es war doch so entsetzlich zugleich, daß der Atem stockte. Wenige Sekunden später sonderte sich am oberen Ende des Flammenstreifens ein tiefschwarzeer Rauchstreifen ab, so daß das Ganze wie eine schaurliche Fackel am Himmel loderte. Am unteren Ende aber löste sich aus der Flamme, die dann am Himmel stehenblieb und erlosch, die Gestalt eines Flugzeuges los und sank taumelnd und kreisend abwärts.
Es schien sich manchmal noch wieder aufzurichten, im Gleitflug sich herunterretten zu wollen. Allein vergeblich. Langsam näherte es sich dem Erdboden. Dann stürzte es, aus mehreren hundert Metern Höhe noch, senkrecht ab und verschwand hinter einer Bodenfalte – zu fern von uns, als daß wir hätten hineilen können.
“Da fällt ein zweiter!” scholl es wieder durcheinander. Schaukelnd und pendelnd sah man ein anderes feindliches Flugzeug, in ähnlichen verzweifelten Kampf um Wiederaufrichtung, zur Erde sinken, umkreist von einem der Unsrigen, der es nicht losließ. Ohne zu brennen, stürzte es schließlich ebenfalls ab und verschwand hinter der einige Kilometer entfernten Bodenerhebung. Unmittelbar darauf aber kündete eine große, schwarze, hinter der Bodenfalte aufsteigende Wolke die Stelle, wo die feindliche Maschine zur Erde geschlagen und explodiert war.
Jetztglitt aus den Lüften ein Doppeldecker hernieder und landete auf unserem Flugplatz. Ein Deutscher, aber nicht von unsrer Staffel. Eine laute Stimme aus dem Rumpfe – oder Sitz – rief: “Verwundet!” Sofort erklang schallend das Kommando: “Sanitäter heran!”
In eiligem Lauf rannte eine Schar von Sanitätersmannschaften herzu. Zwei Leute saßen in dem Flugzeug, das einem benachbarten Geschwader angehörte und sich mit in den Kampf gemischt hatte. Der eine von ihnen, ein Unteroffizierflieger, blutete stark und schien große Schmerzen zu haben. Er wurde sorgfältig aus dem Sitz gehoben und in den Verbandsraum gebracht. Rasche Untersuchung ergab, daß er einen Schuß durch den Oberschenkel hatte, der allerdings schmerzhaft, aber nicht lebensgefährlich war.
Inzwischen ging droben in den Lüften der wilde Kampf weiter, mit Kreisen und Maschinengewehrgeknatter. “Seht, da brennt wieder einer!” Von neuem wiederholte sich das fürchterliche Schauspiel des aufblitzenden Feuerpunktes, des im Sinken lang sich ausziehend orangegeglühenden Meteors und der daraus hervorwachsenden schwarzen Rauchfackel. Wieder löste sich aus der zuletzt stehenbleibenden und verlöschenden Flamme deutlich das taumelnde Flugzeug los. Durch das große Fernrohr schien ein Mann erkennbar, der sich aus dem Führersitz auf den einen Tragflügel geflüchtet hatte und sich dort festklammerte. Dann war er aber nicht mehr sichtbar.
Plötzlich begannen rings um das sinkende Flugzeug zahlreiche farbige Punkte herumzuspringen und langsam in der Luft zu verglühen. “Das sind seine Leuchtsignalkugeln, die sine in Brand geraten!” Auch dieser Gegner zerschmetterte binnen kurzem rettungslos am Boden. “Da kommt Leutnant Schäfer zurück!” Die Maschine schoß in schrägem Gleitflug heran und hielt. Wie eilten zu. Aus dem Sitz erhob sich Leutnant Schäfers lange Gestalt und zog die Kappe von dem schweißbedeckten Antlitz. “Na, wie steht’s?” scholl die Frage.
Von den Lippen des Ankömmlings aber klang eine Flut zorniger Ausrufe: “Himmelherrgottsakra, so eine Schweinerei! Ich hatte ihn, ich hatte ihn ganz sicher, ich war auf ein paar Dutzend Meter an ihm und ließ ihn nicht los – und da muß das verdammte Maschinengewehr Ladehemmung haben – ausgerechnet!” Er war außer sich vor Grimm. “Und das schönste ist, sie haben mir das – “er nannte einen Maschinenteil” – weggeschossen. Ich kann meine Maschine wahrscheinlich drei Tage lang nicht fliegen. Es ist zum…” Wütend ging er von dannen, um sich umzuziehen…
Und noch zwei feindliche Flieger, wieder ohne in Brand zu geraten, stürzten vor meinen Augen vom Himmel herunter; zu fern, als daß wir von hier aus uns um ihre Bergung selbst bemühen konnten; wie mußten das den in der Nachbarschaft des Absturzortes liegenden Truppenteilen überlassen, wie es ja meist bei Luftkämpfen der Fall ist.
Der letzte Engländer – es schien nur noch einer – flüchtete gegen Arras zu, der Kampf war zu Ende. Noch einige Minuten, und wie große Vögel aus verschiedenen Himmelsrichtungen zu einem Beuteplatz kommen, erschien hier und da und dort aus dem Himmelsblau über unserem Flugplatz eine unserer heimkehrenden Maschinen, zog in raschem Gleitflug lautlos heran und stand auf dem Rasen vor den Schuppen still.
Kaum eine halbe Stunde war vergangen, da waren sie alle wieder da. Die Kämpfer stiegen aus ihren Sitzen und standen lachend, stolz, glücklich, lebhaft erzählend inmitten ihrer sie beglückwünschenden Kameraden und der mit Begeisterung um ihre Offizier gescharten Mannschaften. Niemand war verltezt. Das ganze hätte wie ein frohes Sportspiel erscheinen können.
Wie wenig es das aber war, sah ich an Richthofens Maschine. Ein gegnerischer Maschinengewehrschuß hatte die linke untere Tragfläche getroffen und ihre Stoffbespannung auf etwa anderthalb Meter Länge wie der Schnitt eines großen Messers aufgeschilitzt. Und dicht am Führersitz lief an der äußeren Holzverkleidung eine zweite Schramme dahin, die zeigte, daß ein anderes Geschoß hart an seinem Leben vorübergegangen war.
Es ergab sich, daß von den fünf im Kampf gefällten Gegnern einer auf den Führer Manfred von Richthofen kam. Damit hatte dieser den einundvierzigsten Feind herabgeholt. Boelcke ist gefallen, nachdem er seinen vierzigsten Gegner besiegt. Nur der Tod hinderte ihn, noch öfter zu fliegen.
Richthofens jüngerer Bruder Lothar, bisher noch Anfänger, hatte sogar das Glück gehabt, zwei der Feinde herunterholen. Den vierten hatte Leutnant Wollf abgeschossen und damit seinen zehnten Gegner; den fünften der tüchtige Vizefeldwebel Festner, der sich auch in jüngster Zeit schon mehrfach ausgezeichnet hatte.
Während sich die Flugzeugwarte sofort an den Maschinen zu schaffen machten, um entstandene Schäden zu beseitigen, suchte der Führer durch Befragung den Verlauf des Luftkampfes möglichst zweifelsfrei festzustellen und an der Hand der Karte den Ort der Abstürze zu ermitteln. Den Vizefeldwebel Festner, der darüber die bestimmtesten Angaben machen konnte, sandte er mit dem Motorrad dorthin. Dann ging er zum Fernsprecher, um seine Meldung zu machen.
Es war nocht nicht zehn Uhr vormittags, als ich von der Jagdstaffel Richthofen Abschied nehmen mußte, um weiterzureisen.
Der Tag war noch lang und der Himmel hell. Ich schied mit dem Gefühl, daß “noch mehr in der Luft lag”. Und wahrhaftig, so ist es gekommen. Was ich hatte mit ansehen dürfen, war nur der Anfang eines noch größeren Tages gewesen, bisher wohl des glänzendsten in der Geschichte einer unserer Kampfstaffeln.
Denn der Leser weiß es selbst – am nächsten Tage enthielt der amtliche deutsche Heeresbericht für den 13. April die nachstehenden Worte: “Der Gegner verlor im Luftkampf 24 Flugzeuge, davon gingen 13 diesseits unserer Linien nieder. Die von Rittmeister Freiherrn von Richthofen geführte Jagdstaffel vernichtete allein 14 Flugzeuge; dabei schoß Freiherr von Richthofen selbst seinen 41., 42. und 43. Gegner ab. Leutnant Wollf schoß 4 feindliche Flugzeuge ab und erhöhte damit die Zahl seiner Siege auf 14. Leutnant Schäfer besiegte 3 (also doch), Leutnant Freiherr von Richthofen, Leutnant Klein und Vizefeldwebel Festner je 2 Gegner.”
Möge das Glück, das ihnen an diesem Tage lächelte, den jungen Helden auch weiterhin hold sein, daß sie sich dereinst im Frieden ihres Ruhmes freuen können, und des Dankes, den ihnen das Vaterland zollt!
(Diesen Beitrag stellte aus seinem Buche “Der Wall von Eisen und Feuer” Prof. Dr. Wegener dankenswerterweise zur Verfügung (Brockhaus, Leipzig), er berziste die Westfront als Kriegsberichterstatter der “Kölnischen Zeitung”. Es handelt sich hier um einen der aufschlußreichsten Aufs¨tze, die noch während des Krieges über die Richthofen-Staffel erschienen.)”
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