Bericht des Kriegsberichterstatters Dr. Max Osborn
Event ID: 658
27 April 1918
Source ID: 55
“Wie Richthofen fiel. Dr. Max Osborn in der „B. Z.Am Mittag“
Bericht des Kriegsberichterstatters Dr. Max Osborn
(Aus der „B. Z. am Mittag vom 27. April 1918)
An der Somme, 24. April 1918
Der Zufall führte mich heute im Schlachtgelände östlich von Amiens an die Stelle, wo drei Tage vorher Rittmeister Manfred von Richthofen aus Ruhm und Leben hinabgerissen wurde und aus dem Kreis seiner engsten Kameraden. Die Front steht hier in harten Kämpfen, und selbst der Tod eines der volkstümlichsten Helden, die der Krieg uns geschenkt hat, darf in dem großen Räderwerk keinen Augenblick des Stillstandes bringen, aber das Verschwinden dieser glänzenden Erscheinung, der Hingang dieses gefeierten, ritterlichen, liebenswerten Mannes wird in aller
Anspannung des schweren Ringens von jedermann tief betrauert. Nach dem, was ich höre, was mir namentlich die Teilnehmer an Richthofens letztem Kriegsflug zählten, hat sich der Vorgang, der zur Stunde in seinem tragischen Ende noch nicht völlig geklärt ist, folgendermaßen abgespielt:
Am Sonntag, dem 21. April, mittags nach einhalb zwölf, flog der Rittmeister mit vier Herren seines Geschwaders, darunter seinem Vetter, der erst seit ganz kurzer Zeit der berühmten Staffel 11 angehörte und mehr zur Übung mitflog, von Osten her dem Luftraum über der vordersten deutschen Linie zu. Sie sahen sich in der verhältnismäßig geringen Höhe von eintausendfünfhundert Meter, denn es war dunstig, alsbald sieben englischen Camel-Apparaten gegenüber, während sieben weitere feindliche Maschinen in erheblich größerer Höhe sichtbar wurden. Mit den ersten sieben gerieten die deutschen Jagdflieger sofort in heftige Luftkämpfe. Oberleutnant K. und Leutnant W. griffen mehrere Engländer an. Plötzlich sahen sie von der Seite her den roten Dreidecker Richthofens heransausen, der sich in mächtigem Angriff auf diese Gegner stürzte. In seiner bekannten unwiderstehlichen Art faßte der Rittmeister einen Camel, der sofort in der Garbe feines Maschinengewehrs zu liegen schien und fast senkrecht abstürzte. Der starke Ostwind, der am Sonntag mittag wehte, hatte die ganze kämpfende Truppe von der Stellungslinie westwärts und über feindliches Gebiet getrieben, erst in die Nähe von Hamelet, dann über die sumpfige Sommewindung bei Corbie. Die jüngeren Deutschen sahen, wie der Engländer dort noch einmal sich zusammenriß, und wie Richthofen ihn abermals bedrängte. Nun griff Leutnant W. einen neuen Gegner an. Es gelang ihm dabei, den Feind zu erledigen, der südlich Hamelet abstürzte; es war das neunte Flugzeug, das er abgeschossen hat. Sofort sah er sich nach dem Rittmeister um, der als Führer der Gruppe flog, und konnte noch bemerken, daß der rote Dreidecker seinem Gegner noch weiter nach Westen gefolgt war. Das fiel ihm auf. Doch konnte er den Verlauf nicht länger beobachten, da er noch einmal zu neuem Angriff ansetzte. Auch die anderen waren mit den englischen Flugzeugen beschäftigt, die sich ihnen noch stellten. Als sie sich eine Weile mit ihnen herumgeschossen hatten, löste sich der Kampf, und die Deutschen flogen, da sie den Führer nicht mehr fanden, allein ihrem Flughafen zu.
Hier trafen sie ohne Richthofen ein. Schon besorgt um sein Schicksal, doch immer noch in der Hoffnung, der Vielerfahrene werde ihnen nachfolgen. Doch sie warteten vergeblich. Inzwischen hatten Beobachter auf den Höhen bei Hamel deutlich verfolgen können, daß der Engländer, den Richthofen gepackt hatte, völlig erledigt zu Boden gestürzt war, nachdem der Deutsche ihn zweihundert Meter tief gedrückt hatte. Dann sahen sie, wie Richthofen selbst seinen Apparat hob, wohl um abzudrehen und gleichfalls nach Hause zu fliegen, wie er aber dann plötzlich im
Sturzflug gleitend nach unten ging. Trotzdem gelang es dem roten Dreidecker, wie die Beobachter genau feststellen konnten, glatt zu landen. Das geschah auf der Höhe gleich nordwestlich Corbie, schon jenseits der Anere, die hier in die Somme mündet. Die Kameraden mußten da. nach annehmen, daß Richthofen am Leben geblieben und gefangengenommen worden sei. Erst das Reutertelegramm zeigte ihnen die traurige Wahrheit. Wie der Zusammenhang zu deuten ist, schien ihnen noch nicht aufgeklärt. Es ist möglich, daß der Motor Richthofens bei der Jagd und Verfolgung des Gegners allzu stark beansprucht worden ist, so daß er aussetzte und den Flieger zur Notlandung zwang und daß ihn dann beim Gleitflug in gerader Richtung ein Maschinengewehrschuß von der Erde her tödlich traf der vielleicht aus ganz geringer Entfernung abgegeben war. Es ist auch möglich, daß der Rittmeister, bei dem geschilderten Versuch abzudrehen und heimzufliegen, von unten her getroffen wurde. In beiden Fällen muß der dem Tode Geweihte mit äußerster Energie seinen Apparat so gesteuert haben, daß er doch noch zur glatten Landung kam.
Dies jedenfalls steht fest: Im eigentlichen Luftkampf ist der Meister nicht überwunden worden. Weder hinter ihm noch über ihm war in der entscheidenden Zeitspanne ein feindliches Flugzeug zu sehen. Die letzten Siegestaten Der Engländer, den Richthofen unmittelbar vor seinem Tode abschoß, war der einundachtzigste Gegner, den er besiegte. Das will bedeuten, der einundachtzigste, der nach den bei uns geltenden strengen Regeln gezählt wurde. Die Offiziere seines Geschwaders sind der Ansicht, daß die Zahl erheblich wachsen würde, könnte man auch die gewiß nicht kleine Reihe derer hinzurechnen, die, von Richthofen vernichtend geschlagen, zu weit hinter der feindlichen Linie zusammenbrachen, als daß man ihren Fall bei uns hätte einwandfrei feststellen können. Ferner erzählten sie, daß Richthofen, wenn zugleich mit ihm andere auf ein feindliches Flugzeug geschossen hatten, das abstürzte, persönlich jedesmal zugunsten des Mitbewerbers zurückgetreten sei, eine Gepflogenheit, die sie als einen schönen Beweis einer selbstlosen und hochherzigen Kameradschaftlichkeit rühmten. Den neunundsiebzigsten
und achtzigsten Gegner hatte Richthofen am Abend vorher, am 20. April um sieben Uhr zwischen Warfusée-Abancourt und Villers-Bretonneux abgeschossen, beide im selben Luftkampf unmittelbar hintereinander, innerhalb von zwei Minuten. Er hatte schon vorher angekündigt, er hoffe durch einen solchen Doppelsieg zu Nummer achtzig zu gelangen und freute sich außerordentlich, daß ihm das in der Tat geglückt war. Beim Rückweg nach diesem Doppelsieg am 20. hatte er dann noch, niedrig fliegend, auf der Straße marschierende Kolonnen begrüßt. Das rote Flugzeug war allen Kämpfern auf der Erde um so besser bekannt, als gerade Richthofen sich besonders eifrig bemühte, die feindlichen Flieger anzugreifen, die unsere Truppen bedrängten, und darum bei unseren Infanteristen allgemeine Verehrung genoß.
Heute, am 24. April, wollte Rittmeister von Richthofen auf Erlaub fahren. Er wollte zusammen mit Leutnant W. nach Freiburg fliegen, von dort auf einige Tage in den Schwarzwald zur Auerhahnbalz und dann einen dienstlichen Auftrag in der Heimat erledigen. Die beiden Flieger hatten
sich schon den Weg ausgearbeitet, den sie nehmen wollten. Bei schlechtem Wetter sollte die Reise auf der Eisenbahn vor sich gehen. Die Fahrscheine dazu lagen für alle Fälle schon bereit. Nun mußte einer der Kameraden Richthofens nach Kortryk fliegen, um dem Vater des Gefallenen die traurige Nachricht zu bringen. Die Freunde, Untergebenen und Schüler hatten den Helden für gefeit gehalten; sie glaubten fest, es könne ihm kein Unheil begegnen. Wir anderen haben wohl eher daran gedacht, daß der Unermüdliche doch einmal auf dem Schlachtfelde fallen könnte. Die Liebe und Verehrung, die ihn trug, gilt nun der stolzen Erinnerung an einen Kämpfer, der fiel, nachdem er für sein Vaterland Unübertreffliches geleistet, dessen Name fast schon vom Schimmer des Märchens umgeben war und der, wie die Lieblingshelden der alten Sage, in blühender Jugend vom neidischen Geschickt zu den Schatten hinabgestoßen wurde.”
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