skip to Main Content

Ein Tag bei Staffel 11

Event ID: 652

Categories: 

Ein Heldenleben, Ullstein & Co, 1920

13 April 1917

50.329872275934086, 3.144518810662833
Roucourt

Source ID: 55

Ein Heldenleben, Ullstein & Co, 1920 p.  224 

“Lothar schreibt: Die Staffel war in zwei Gruppen eingeteilt, das heißt es flog immer die halbe Staffel zusammen. Mein Bruder flog als Staffelführer mal mit der einen, mal mit der anderen Gruppe. Meine Gruppe führte Schäfer, und außer mir flogen noch Wolff, Allmenröder und Lübbert. Das war damals so die günstigste Zahl zum Zusammenfliegen. Diese ganze Gruppe hat sich dann später den Pour le mérite verdient, nur Leutnant Lübbert fiel leider vor der Zeit. Er hatte bei seiner Feldfliegerabteilung schon die fabelhaftesten Sachen geleistet. Nur der Tod konnte unseren lieben Kameraden daran hindern, sich den Pour le mérite zu holen. Die Gruppe hatte an dem Tag Frühstart, das heißt wir mußten uns vom Morgengrauen an bereit halten, jeden Augenblick starten zu können; das war schon sehr zeitig, zwischen vier und fünf Uhr. Wir saßen, gerade aufgestanden, im Starthaus, da klingelt das Telephon: „Sechs Bristol von Arras nach Douai.“ Nun waren wir schon aufgestanden, also los. In dreitausend Metern Höhe eine durchbrochene Wolkendecke. Als wir gerade starten, sehen wir die Engländer genau unter der  Wolkendecke schon in der Nähe unseres Flugplatzes. Der rote Vogel meines Bruders steht startbereit auf dem Platz, seine Monteure dabei. Von meinem Bruder nichts zu sehen. Wir bekamen die Engländer noch zu fassen, aber die Kerls flogen so geschickt in den Wolkenschichten, daß keiner von uns einen abschießen konnte. Immer wenn man hinter einem auf Schußentfernung saß, verschwand er nach unten oder oben in den Wolken. Es war dies mein erster Luftkampf, und ich war sehr stolz, als ich mal einen vorhatte, der in meinem M.-G.-Feuer anfing zu stinken. Ich hatte ihm einen Benzintank durchschossen; aber im nächsten Augenblick verschwand er wieder in den Wolken. Da fast sämtliche Maschinen einen Reservetank haben, hatte er wahrscheinlich den anderen Benzintank eingeschaltet. Wenigstens flog der Kerl weiter. Ich war
natürlich sehr traurig, daß er nicht ‘runterfiel; aber das war, wie mir nachher mein Bruder sagte, zuviel verlangt vom ersten Luftkampf.

Wir hatten alle keinen abgeschossen und landeten etwa nach einer Stunde auf unserem Platz. Unten stand wieder der rote Vogel meines Bruders, aber man konnte schon von weitem an dem Arbeiten der Monteure und an der Lage der Maschine sehen, daß er unterwegs gewesen war. Da wird uns auch gleich erzählt: Ja, der Herr Rittmeister war etwa fünf Minuten nach uns gestartet. Er hatte noch im Bett gelegen, als die Meldung kam. Schnell über den Schlafanzug die Fliegerbekleidung und los. Nach zwanzig Minuten war er zurückgekehrt und hatte dabei einen Engländer diesseits abgeschossen. Als wir nun wieder zurück. kamen, lag er im Bett und schlief bereits wieder, als ob nichts passiert sei. Nur einige Treffer in seiner Maschine und Meldungen über das abgeschossene Flugzeug, die einliefen, zeugten von seinem Fluge. Wir schämten uns doch alle ein bißchen; wir waren zu fünfen gewesen, waren früher gestartet, später gelandet und hatten nichts herunterbekommen.

Als wir uns gegen acht Uhr zum zweiten Start versammelten, erschien mein Bruder. Er schimpfte über die Engländer, diese nächtlichen Ruhestörer, die friedliebende Menschen mitten in der Nacht aus dem Bett trommelten. Wir gratulierten ihm herzlich, erzählten ihm unsere Erlebnisse, er uns seine. Er war direkt nach der Front zu gestartet. Wenige Kilometer vor der Front stieß plötzlich ein Engländer durch die Wolken und setzte sich direkt vor meinen Bruder. In wenigen Sekunden war der Kampf entschieden. Brennend stürzte der Engländer ab. Die Reste seines Flugzeuges fielen noch auf unserer Seite zur Erde. Durch das soeben eingenommene Frühstück hatten wir wieder neuen Mut gesammelt und zogen unsere Fliegerbekleidung an.

Die Jagdfliegerei trägt mit Recht diesen Namen, denn es ist eine richtige Jagd auf feindliche Flieger. Das Wild bat wohl seinen beständigen Wechsel, aber diesen benutzt es zu möglichst unbestimmten Zeiten. Wir hatten dieses Mal Pech. Die Engländer saßen wohl noch beim  Frühstück. Ich hatte mir vorgenommen, immer fünfzig Meter neben meinem Bruder zu fliegen, denn ich sagte mir, daß ich auf diese Weise am ersten zu Schuß kommen würde. Ich hielt mich auch immer dicht an ihn heran und freute mich schon, daß es so gut ging. Ein einzelner englischer Infanterieflieger hatte die Front überflogen. Ich hatte noch genug mit meiner Maschine und allem möglichen anderen zu tun, wie das einem so die ersten Male geht, und hatte nichts von dem Engländer gesehen, dafür mein Bruder aber desto mehr. Ganz plötzlich stellte er seine Maschine auf den Kopf, ist in ganz kurzer Zeit hinter dem Engländer, und in demselben Augenblick bricht das englische Flugzeug auseinander. Mit der M.-G.-Garbe war ihm die eine Tragfläche direkt abgesägt worden. Als ob man einen Sack mit kleinen und großen Papierfetzen ausschüttet, so sehen die Reste des Engländers aus. Das Bild sah ich mir aus einer Entfernung von etwa eintausend Metern an, trotzdem ich doch so nahe an meinen Bruder hatte heranbleiben wollen. Dies war mir nicht gelungen. Wir flogen dieselben Maschinen, d. h. denselben  Flugzeugtyp, mit demselben Motor, also mußte es an mir liegen.

Das schnelle Fliegen muß erst richtig gelernt werden. Man kann nämlich langsam und schnell fliegen. Man kann so langsam fliegen, daß man beinahe auf einer Stelle steht; dann muß man den Motor ganz langsam laufen und die Maschine in derselben Lage lassen; dann kommt das Flugzeug allmählich kaum noch vorwärts, dafür sackt es durch, d. h. es senkt sich allmählich, und dadurch wird die Maschine getragen. Sehr unangenehm ist in diesem Falle, daß die Steuer nicht mehr ordentlich reagieren, da ja kein Luftdruck mehr darauf ist. So eine Übung ist  natürlich in niedrigen Höhen für Anfänger nicht zu empfehlen. Dies ist das langsamste Fliegen. Dann kann man immer etwas schneller fliegen bis zur normalen Geschwindigkeit. Bei der normalen Geschwindigkeit steigt eine Maschine immer noch. Wenn ich nun das Flugzeug immer mehr auf den Kopf stelle mit vollaufendem Motor, so kann ich eine erhebliche Geschwindigkeit erreichen, wenn auch nicht die doppelte, so doch einen ganz erheblichen Zuwachs. Natürlich ist das eine sehr starke Beanspruchung von Maschine und Motor. Dies muß erst gelernt sein. Es klingt sehr leicht. Ich kenne aber viele, die das nie lernen. Ich halte dies aber für wichtiger als manches andere Fliegerkunststück, z. B. den Looping. Der Looping ist mehr etwas für Zuschauer. Er sieht sehr schön aus, hat aber für den Kampf keinen Wert. Der Zweck des Looping ist der, sich von Laien bewundern zu lassen, und wird meistens in der Heimat oder vor Zuschauern geübt.

Nachdem so der einzige Engländer, der an der Front war, abgeschossen war, flogen wir nach Hause. Nach den Flügen unterhielt man sich naturgemäß über die soeben erlebten Luftkämpfe. Ein sehr komisches Bild ist dabei, daß derjenige, der einen Luftkampf beschreibt, mit den  Armen herumfuchtelt; er redet mit den Händen. Um uns etwas beizubringen, um zu sagen, was wir falsch und richtig gemacht hatten, folgte den Luftkämpfen meist eine Besprechung. Aber auch auf andere Weise erreichte mein Bruder sein Ziel. Wie er z. B. die Staffel übernahm,  befanden sich dort Wolff und Allmenröder. Die beiden hatten damals noch gar keine Erfahrung, und Anfänger haben bei einem Luftkampf mehr Angst als Vaterlandsliebe. In den ersten Tagen flog mein Bruder mit den beiden los, griff mehrere Engländer an, und seine Maschine erhielt eine Unmenge Treffer, ohne selbst Erfolg zu haben, da die beiden nicht halfen. Mein Bruder kam natürlich darüber ziemlich verärgert nach Hause, machte aber den beiden keinen Vorwurf, sondern verlor kein Wort darüber. Wie mir Wolff und Allmenröder, die sich ja später beide den Pour le mérite verdienten, sagten, hätte das mehr gewirkt als die größte Standpauke. Nach der Besprechung kamen für meinen Bruder die Staffelführersorgen. Zum Mittag hatten wir einen Kriegsberichterstatter bei uns. Ich weiß nicht, war Manfred mehr von seinen Kameraden oder von dem Gast als Laien bewundert. Gleich nach dem Essen wurde für gewöhnlich, soweit der Flugbetrieb es zuließ, eine halbe Stunde Nachmittagsruhe gehalten; denn in der Hauptbetriebszeit, wie sie damals war, flogen wir manchmal fünf- bis siebenmal am Tage. Um das  durchhalten zu können, war Grundbedingung: essen, schlafen und keinen Tropfen Alkohol.

Gegen Abend schoß mein Bruder noch einen englischen Doppelsitzer mit Gitterrumpf ab. Das Flugzeug machte noch einen normalen Gleitflug, trotzdem die Insassen schon lange durch viele Kugeln tödlich getroffen waren. Das Flugzeug setze aber den Gleitflug in das Dach eines  Hauses fort und zertrümmerte vollständig. Da es ganz in unserer Nähe war, fuhr mein Bruder mit uns im Auto an die Absturzstelle, um Nummer des Flugzeuges und anderes festzustellen. An der Stelle angekommen, bot sich uns kein schöner Anblick. Die Hälfte des Flugzeuges hing noch auf dem Dach, die andere lag auf der Straße. Die Engländer hatten in der Nähe Bomben geworfen, so daß der Luftkampf von vielen beobachtet war, und eine Menge Feldgrauer besah sich die Trümmer des Engländers. Als wir alles festgestellt hatten, traten wir den Heimweg an. Mein Bruder war inzwischen von den Soldaten erkannt worden, und unter donnerndem Hurra verließen wir den Ort.”

This Post Has 0 Comments

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Back To Top