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Richthofen als Vorgesetzter und Kamerad.

Event ID: 574

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Ein Heldenleben, Ullstein & Co, 1920

02 December 1917

50.25304237994465, 3.3653950382567883
Avesnes-le-Sec

Source ID: 55

Ein Heldenleben, Ullstein & Co, 1920 p.  308 

“Richthofen als Vorgesetzter und Kamerad. Von F. W. Lübbert, Leunant, Jasta 11

Groß war meine Freude und mein Stolz, als ich im Dezember 1917 die Nachricht erhielt, Rittmeister von Richthofen habe mich für die Jagdstaffel 11 angefordert. Ich sollte also jetzt in nächste persönliche Beziehung zu ihm, dem Vorbild aller deutschen Jagdflieger, treten. Bis dahin hatte ich Richthofen nur flüchtig gelegentlich der Trauerfeier für meinen bei Jagdstaffel 11 gefallenen Bruder kennengelernt und bewunderte in ihm nur den berühmten hervorragenden Jagdflieger. Bald sollte ich alle seine herrlichen und menschlichen Eigenschaften kennen und lieben lernen.

Richthofen war Flieger durch und durch. Mit der Zeit wurde er einer der populärsten Männer Deutschlands. Man hätte glauben sollen, daß ein Mensch bei einer solchen Inanspruchnahme durch eine der anstrengendsten Tätigkeiten, die es gibt, und durch die große Popularität, die er genoß, in seinem Innern seinen Raum mehr haben würde für Freundschaft und Kameradschaft. Das Gegenteil war der Fall. Richthofen war für die Offiziere seiner Staffel und seines Geschwaders ein ebenso guter Vorgesetzter wie Kamerad. Er verkehrte mit uns außer dienstlich wie  jeder andere Kamerad. So spielte er mit uns Hockey, wenn nicht geflogen werden konnte, und beteiligte sich abends oft am Kartenspiel. Man konnte mit jeder Frage und mit jeder Sorge zu ihm gehen und war sicher, bei ihm Teilnahme und Hilfe zu finden, wenn man ihrer bedurfte.

Unübertrefflich war Richthofen als Lehrer. Ich war bei verschiedenen Flieger-Ersatzabteilungen und auf der Jagdstaffelschule: nie ist mir ein Lehrer begegnet, der mir theoretisch die Technik des Luftkampfes so klar machen konnte wie Richthofen. Jederzeit war er bereit, alle Fragen, die ihm gestellt wurden, zu beantworten. Es war ihm sogar sehr lieb, wenn seine Piloten recht wißbegierig waren. Nie wurde er ungeduldig, wenn unsere Fragen auch noch so anfängerhaft und töricht sein mochten. Mit der größten Geduld nahm er sich eines jeden einzelnen an. Jeder junge Pilot, der zu seiner Staffel kam, mußte zunächst ein paar mal mit Richthofen allein an die Front fliegen. Nach dem Flug wurden die Einzelheiten des Gesehenen und Erlebten umgehend mit dem Anfänger durchgesprochen. In einem Punkt war Richthofen sehr entschieden: er duldete in der Staffel nur solche Piloten, die wirklich etwas leisteten. Den Anfänger beobachtete er einige Zeit; kam er dann zu der Überzeugung, daß der Betreffende den Anforderungen, die Richthofen an einen Jagdflieger stellte, fei es in bezug auf seine moralischen Eigenschaften,  sei es in bezug auf seine technischen Fähigkeiten, nicht genügte, so wurde der Betreffende sicher wieder abgeschoben. Aber das war ja gerade das Schöne für uns, daß jeder sicher war, von Richthofen nicht nach äußeren Gründen, sondern lediglich nach seinen Leistungen gewertet  zu werden.

Als Vorgesetzter wurde Richthofen von allen geliebt. Die Mannschaften, insbesondere die Monteure, die ja überhaupt zu ihren Piloten in einem besonders nahen Verhältnis stehen, liebten und verehrten ihn über alles. Daß ein solcher Mann in einem idealen Vorgesetztenverhältnis zu seinen Offizieren stehen mußte, war nur natürlich. Bewunderungswürdig war die Ruhe, mit welcher er die ihm unterstellten Offiziere selbst dann behandelte, wenn er innerlich erregt sein mußte. Von den vielen Beweisen dafür, die wir alle, die unter ihm dienen durften, erlebt haben, möchte ich das folgende anführen: Die Staffel kam von einem Frontflug. Der Rittmeister landete als vorletzter. Es fehlte noch sein Bruder Lothar. Als Richthofen landete, war seine erste Frage: „Ist Lothar zurück?“ Antwort: „Nein, aber es ist beobachtet, daß ihm in  fünftausendfünfhundert Meter Höhe das oberste Tragdeck seines Dreideckers fortflog, und daß er im Gleitflug nach unten ging.“ Ruhig geht Richthofen mit den Piloten zum Starthaus. Dort ist noch keine Nachricht eingelaufen. Plötzlich kommt durch den Fernsprecher die Meldung: „Leutnant von Richthofen ist bei Cambrai abgestürzt und tot.“ Gleich darauf läuft die zweite Meldung ein: „Leutnant von Richthofen ist notgelandet und am Auge schwer verletzt.“ Niemand weiß, welche Meldung den Tatsachen entspricht. Gedrückte Stimmung bei allen. Die Gesichtszüge des Rittmeisters verändern sich nicht im mindesten. „Wir müssen abwarten,“ sagte er und hält in aller Ruhe seine Kritik über den heutigen Flug ab. „Ich habe übrigens heute zweie abgeschossen,“ sagt er zwischendurch und beiläufig. Als dann längere Zeit keine weitere  Nachricht gekommen ist, setzt er sich in seine Kiste und fliegt an die Absturzstelle, um selbst Näheres über das Schicksal seines Bruders festzustellen, dessen Verletzungen sich hinterher glücklicherweise trotz des schweren Sturzes als verhältnismäßig leicht herausstellten. Trotz seiner überaus angestrengten Tätigkeit als Jagdflieger, Vorgesetzter und Lehrer vernachlässigte Richthofen auch seine geistigen und sportlichen Interessen nicht. Abends las er oft, und zwar meistens nur schöne Literatur ernsteren Charakters und vielfach auch wissenschaftliche Literatur. So sah ich ihn mitunter geographische oder astronomische Werke studieren, so daß ich mich wundern mußte, daß er nach der ungeheuren Beanspruchung von Körper und Geist, die der Tag eines Jagdfliegers und Führers mit sich gebracht hatte, am Abend noch die geistige Frische besaß, um so schwere Lektüre zu bewältigen. Beschäftigungslos war Richthofen nie. Wurde nicht geflogen, so schoß er auf dem Maschinengewehrstand – übrigens mit fabelhafter Kunstfertigkeit – oder er ritt aus, was ihm als begeistertem Kavalleristen von Zeit zu Zeit ein unbedingtes Bedürfnis war, oder er ging auf Jagd, wo er mit seiner großen Schießfertigkeit erstaunliche Strecken erzielte, wie er ja auch einen großen Teil seiner Urlaubszeit dazu benutzte, um seltenes Wild zu erlegen.

War Richthofen so der beste Vorgesetzte, Lehrer, Kamerad und Freund, den wir uns denken konnten, so war er als Jagdflieger unser aller unerreichtes Vorbild. Er besaß alle diejenigen Eigenschaften, die der erfolgreiche Jagdflieger haben muß: gut fliegen, gut schießen, alles sehen, immer ruhig bleiben und schneidig an den Feind herangehen. Alle diese Eigenschaften verkörperten sich in Richthofen wie wohl bei keinem anderen Jagdflieger. Er war ein Feind unnötiger Kapriolen in der Luft so hat er nie in seinem Leben zum Spaß ein Looping gemacht und folgte
niemals einem ungesunden Ehrgeiz, der schon manchem anderen guten Jagdflieger das Leben gekostet hat. „Langsam, aber sicher,“ schien sein Wahlspruch zu sein. „Lieber einen weniger abschießen, als selbst abgeschossen zu werden, denn dann kann ich dem Vaterlande keine
Dienste mehr leisten.“ War seine Staffel oder sein Geschwader in einen Luftkampf verwickelt, so sah er alles und alle. Er beschäftigte sich nicht nur mit seinem eigenen Gegner, sondern überwachte gleichzeitig seine Piloten, sei es, um ihnen rechtzeitig Hilfe zu bringen, sei es, um hinterher bei der Kritik jedem sagen zu können, wie er es nicht hätte machen sollen.

Rittmeister von Richthofen ist nicht mehr. Sein sterblicher Geist aber lebt in uns allen weiter. Er wird für alle Zeiten der Leitstern der deutschen Jagdfliegerei sein.”

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