Kriegesausbruch und Reise von Zoppot to Schweidnitz.
Event ID: 287
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31 July 1914
Source ID: 10
Es war ein Sommertag, so schön er sein konnte. Starke Sonne lag über dem Wasser. Von der Terrasse des Strandhotels, über die brennendroten Geranien hinweg, blickten wir auf das tiefblaue Meer. Unsere Augen folgten den Seglern, die wie weisse Schatten vorüberglitten. Der Wind trug die Klänge der Kurkapelle heran. Wir waren sehr schweigsam geworden. Ich fand mich in einer seltsam beklemmenden Stimmung, wie an der Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit. Gewiss, da waren die schlanken Gestalten der beiden Kriegsschüler vor mir, ihre knabenhaften, gebräunten Gesichter unter der helleren Stirn, in denen doch schon frühe Männlichkeit lag – da war Ilses helle, blühende Erscheinung in sommerlichen Weiss; aber auch ihre herzhafte, immer lachende Munterkeit was verstummt – da auf dem Stuhl, der dicht an den Tisch gezogen war, saß Bolko, der Jungste, und hatte den Nutzung davon, daß wir Erwachsene nicht von der Torte und dem Kuchen aßen…Ich nahm dieses Bild in mich auf und blickte wieder aufs Wasser, über dem die schmalen Segel schwankten, und in den Glast des Himmels und dachte, es könne nicht sein, daß dieses Bild trügerisch ist und daß es sich auslöfen würde in nichts vor dem, das jetzt kam, vor dem Großen Unbekannten, das sich, keiner wüßte wie, durch aller Mund ankündigte: Krieg…! Gottfried, der Neffe, blickte geradeaus, kühl und sachlich, als stände er beim Appell. Er sagte ganz unerwartet: “Zwei Paar wollene Strümpfe muß man mitnehmen”, und er nannte dies und das genau nach der Vorschrift, was zur Ausrüstung gehörte, wenn ein junger Soldat ins Feld zieht. Dieser kindhafte soldatische Eifer machte mich lächeln bei all dem Zwiespalt meiner Gefühle. Ich suchte in meines Sohnes Mienen zu lesen, Lothar aber wandte das schmale Gesicht mit den sehr dunklen Brauen, die über der Nase zusammengewachsen waren. Er mochte jetzt nicht sprechen, nur in seinen bronzefarbenen Augen blickte zuweilen etwas auf von der starken Erregung, die in ihm arbeitete. Sicherlich war sein ganzes Wesen erfaßt, das sonst zur Lebensfreude geschaffen schien. Aber er blickte weg, er wollte nicht, daß ich sah, was er empfand und dachte. Einzig Bolko – blonde, rosige, Kindheit in einem weißen Matrosenanzug – fuhr fort, von den Leckereien zu schmausen, die ihm diese Stunde bescherte, bei dem das Große Unbekannte uns alles abräumte, was vorher an Genuß und Sorglosigkeit gewesen war…Sollten wir abreisen? Manche Badegäste hatten schon – wie es schien, in unnötiger Eile – Zoppot verlassen. Auch für uns war ein Entschluß nötig, ich fühlte das. Wenn einer jetzt raten könnte! “Du solltest Manfred Fragen.” Lothar hatte es gesagt. Und gewiß, er hatte recht. Ich sah das ruhige, fast gleichmütige Gesicht meines Ältesten vor mir. Ich spürte die Sicherheit, die von ihm ausging. Ich erinnerte mich, wie sehr es mir Bedürfnis geworden war, alle Dinge von Wichtigkeit mit ihm zu bereden, und wie er stets mit einer Vernunft, die mit seiner Jugend kaum in Einklang stand, auch in schwierigen Fragen das Wesentliche zu sagen und zu raten wußte. “Telegrafiere ihm doch!” Lothar hatte recht, zumal Manfred bei der detachierten Schwadron an der Grenze stand, in Ostrowo, und am ehesten Wind von den Ereignissen haben mußte. Ich schrieb einige Worte auf ein Blatt und gab das Telegramm zur Beförderung. Die beiden jungen Soldaten tauschten einen Blick und erhoben sich gleichzeitig. Die Stunde der Trennung war da. Wir gingen aus die Strandpromenade. Viele Menschen waren dort, und ihre Mienen waren verändert. Eine fiebrige, aufs höchste gespannte Erwartung vibrierte in ihnen. War ses das Große Unbekannte? Ein tiefes Summen, wie ich es vorher nie gehört hatte, ging durch alle hin. Die Kapelle strahlte in patriotischen Liedern. Immer wieder wurde sie augerufen, davon zu spielen. Es war schwer, sich dieser Stimmung zu entziehen. Mit genauer Mühe gelangten wir ins Hotel. Da traf schon Manfreds Antwort ein:”Rate Euch umgebend abzureisen.” Nun war alles klar, wir packten. Das Telefon ging. Lothars Stimme meldete sich aus Danzig. Und nun das: “Lebewohl…auf Wiedersehen…liebe Mutter…” Lange noch schwangen diese Worte in mir nach. Am Freitag, dem 31. Juli 1914, in aller Frühe reisten wir von Zoppot nach Schweidnitz.
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