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Letzter Besuch in Schweidnitz

Event ID: 258

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Die Erinnerungen der Mutter des roten Kampffliegers Kunigunde Freifrau von Richthofen. Im Verlag Ullstein - Berlin, 1937.

29 January 1918

50.84890767354939, 16.476310886960174
Władysława Sikorskiego 19, 58-105 Świdnica, Polen
Swidnica
Schweidnitz

Source ID: 10

Die Erinnerungen der Mutter des roten Kampffliegers Kunigunde Freifrau von Richthofen. Im Verlag Ullstein - Berlin, 1937. p.  147 

“Der Himmel spann sich weit und licht, von einem azurnen unergründlichen Blau, wie über italienischen Sunden. Zehn Grad Wärme – Ende Januar! Ich war ganz allein zu Hause und ging frühzeitig auf den kleinen Exerzierplatz gegenüber unserem Hause, um Manfred zu erwarten. Gegen vier Uhr das nun schon gewohnte Bild: Ein fernes Klingen in den Wolken, das zum Brausen schwillt…der Feuerfunken des roten Flugzeuges in der Sonne…das Ausschweben und falterleichte Aufsetzen. Wir hatten zum Empfang unseres Meisterfliegers etwas backen wollen – es gab aber mal wieder kein Mehl. So hatte meine alte treue Stütze mit Liebe und Kunst aus Graupen eine kleine Torte gezaubert und diese mit dem Gelee, das ich geschenkt bekommen hatte, dick belegt. Unser Soldat hatte Hunger. Er aß ein großes Stück von dieser Graupentorte. Ich setzte mich neben ihn. “Wie schmeckt sie dir?” “Prachtvoll!” Plötzlich trafen sich unsere Augen, und wir lachten unisono, wie zwei übermütige Kinder. Unsere Gedanken hatten sich ertappt. “Nun komm her, Manfred, erzähl mal.” Nun ja, er hatte von Berlin nur zwei Stunden gebraucht, über Wahlstatt eine langsame tiefe Schleife gezogen. Die Kadetten standen angetreten auf dem Hof und riefen Hurra, was ihre jungen Kehlen hergaben. “Am lautesten hat sicher Bolko gerufen; er hat ja so eine furchtbare Lunge!” “O nein”, mußte ich bemerken, “das glaube ich nicht; ganz und gar nicht. Er hatte vielleicht sogar Tränen in den blauen Kinderaugen, Tränen der Enttäuschung. Kaum, daß der Knabenmund zum Rufen geöffnet war, so würgte es ihm sicherlich und er schluckte tapfer die Tränen herunter. Warum landete er nicht, der große Bruder?” Bolko hat einen temperamentvollen Brief geschrieben. Hier ist er. Ich zeigte ihn Manfred und sah, wie sein Gesicht von einem halb schmerzlichen Humor wetterleuchtete. Er las halblaut: “Sage Manfred, wenn er noch einen Funken Liebe zu seinem alten Kadettenkorps und zu seinem Bruder hat, dann muß er hier landen. Wenn er es nicht tut, ist es eine Gemeinheit. Punktum!” “Der liebe kleine Kerl, jetzt ist er enttäuscht. Ja, wenn im Leben allesso ginge…” Jetzt, auf dem Rückflug, will Manfred zum Trost Schokolade über Wahlstatt abwerfen. Wir setzten uns dann in meines Mannes großes Arbeitszimmer; Manfred erzählte, daß er jetzt öfters in der Munitionsfabriken geschickt würde – zu den streikenden Arbeitern. Wenn er ankäme, so eilten sie alle herbei, und er müßte zu ihnen sprechen. Er machte ihnen dann klar, wie wichtig gerade jetzt ihre Arbeit sei, und so weiter. Sie gingen dann auch meistens wieder an ihre Maschinen. Aber lange würden sie es vielleicht nicht mehr tun. In diesem Punkt sah er recht schwarz. Auch die Kaiserin ginge oft zu den streikenden Munitionsarbeitern und spräche mit den Leuten. Ich hatte das Gefühl, er wollte über diese Dinge nicht gern scprechen. Ich verstand, daß ihn, den Menschen aus Pflicht und Diziplin, dessen ganzes Leben Einsatz bis zur Selbstaufopferung war, die von der Regierung eingeschlagene Taktik der “Beredung” mit Widerstreben erfüllen mußte. Wir betrachteten nun zusammen die Bilder, die Manfred von der Front mitgebracht hatte. Ein sehr schönes Foto zeigte eine Gruppe junger Fliegeroffiziere – seine Kameraden aus der ersten Fliegertätigkeit aus Rußland. Mitten unter ihnen Manfred. Ich betrachtete das Bild mit all den lachenden jungen Menschen und freute mich daran. “Was ist aus ihnen geworden?” Ich zeigte auf den ersten: “Gefallen.” Ich wies auf den zweiten: “Auch tot”, und seine Stimme klang rauh: “Frag nicht weiter – sie sind alle tot.” Alle tot – außer Manfred… Als wenn er mir die Gedanken von der Stirn abläse: “Du brauchst dich nicht zu sorgen. In der Luft habe ich nichts zu befürchten – in der Luft nicht. – Wir werden mit ihnen fertig, wenn es noch so viele sind.” Und nach einer Pause: “Das Schlimmste, was mir passieren könnte, wäre, wenn ich drüben landen müßte.” Er trat aus Fenster. Versonnen blickten seine Augen hinaus, als sähen sie etwas in weiter Ferne. “Ich glaube bestimmt, die Engländer würden sich sehr anständig gegen dich benehmen.” Es dauerte lange, bis er antwortete. Noch immer starrte er zum Fenster hinaus. Dann kam es langsam – als wolle er nicht weiterreden – von seinen Lippen: “Ich glaube es auch.” Jetzt nicht weiterfragen, sagte eine Stimme in mir. Wenn jemand vor einem steht, der dem Tode so nahe ist, der ihm täglich mehr als einmal ins Auge schaut – und dieser Jemand ist das eigene Kind -, dann ist man vorsichtig und zurückhaltend mit jedem Wort. Soll man ermahnen? – Das ist zwecklos; sie tun ja ohnedem ihr Bestes. – Soll man ihnen Befürchtungen oder Sorge mitteilen? – Das wäre für sie inerträglich. – Soll man klagen? – Nein, das konnte ich nicht, so klein und armselig konnte ich nicht handeln. – Also, man schwieg, man suchte den Augenblick zu genießen, sich an der Gegenwart des anderen zu erfreuen, man war so froh, wie man es mit jungen Menschen sein muß, die ein paar kurze Urlaubstage in der Heimat verleben und daran gern zurückdenken sollten – nicht beschwert mit dem Gedanken, zu Hause eine gramvolle Mutter zu wissen. In diesem ‘allerdings niemals ausgesprochenen) Sinne genossen wir immer die Besuche unserer jungen Krieger. Damit traf man auch bei ihnen auf das größte Verständnis; sie wurden offen und froh, sie liebten einen darum um so mehr. Wir fuhren zusammen nach Rankau zum Geburtstag meiner Schwester. Ich sagte zu Manfred: “Du hast nun schon zweiundsechzigmal deinen Gegner im Luftkampf besiegt. Eine solche Einzelleistung ist ohne Beispiel. Schon jetzt ist dein Name unvergänglich.” Manfred schwieg, nur ein kleines melancholisches Lächeln glitt um seinen Mund. Was in ihm vorging – ich wußte es nicht. Ernst war er – sehr ernst – und still. Ich fand Manfred überhaupt sehr verändert. Obgleich er, mit dem Urlaub im Herbst verglichen, wohler und frischer aussah, so fehlte doch in seinem Wesen das Fröhliche – das Sorglose, – das übermütige. Er war einsilbig, abgekehrt, fast unzugänglich; jedes seiner Worte schien aus einer unbekannten Ferne zu kommen. Woher diese Veränderung? Der Gedanke quälte mich, kehrte immer wieder, während die Räder unter mir eintönig pochten, als hätten sie ihre eigene Sprache. Ich glaube, er hat den Tod zu oft gesehen. Auch ich zog mich in meine Ecke zurück und schwieg. Lauschte dem rastlosen Pochen der Räder. Ein Wort wollte mir nicht aus dem Sinn, ich wollte es verscheuchen, schalt über mich selbst, über meinem Kleinmut; aber es kehrte immer wieder. Manfred sollte zur Zahnbehandlung gehen, irgendeine kleine, ganz alltägliche Behandlung vornehmen lassen. Da sagte er halblaut vor sich hin – aber ich hörte es doch: “Eigentlich hat es ja keinen Zweck mehr.” Da stand das Wort vor mir, wie ein quälender Spuk, und ließ sich nicht vertreiben. Selbst die Räder unter mir klopften es auf die Schienen, in schütterem, gleichmütigem Takt. Ich scloß die Augen, tat, als wollte ich ruhen. Doch entging mir keine Bewegung an ihm. Wie hart seine Züge geworden waren; nur der gutgeschnittene Mund, der so liebenswürdig lächeln konnte, wahrte noch den alten Charme. Um Augen und Schläfen aber lag etwas Schmerzliches, etwas, das schwer zu deuten war. War es die Ahnung des Künstigen – der von ihm befürchtete schlimme Ausgang des Krieges, was seine Schatten über ihn warf? Oder war es doch nur eine Nachwirkung von dem tiefen Kopfschutz, den er im Sommer bekommen hatte?! Zwar – geklagt hatte er niemals, aber es hatte für eine Zeit all seine Kräfte lahmgelegt. Er sah verändert aus; sehr elend und reizbar, als ich ihn damals wiedersah. Das war jetzt vorüber. – Aber das Ernste, das Gemessene, fast Würdevolle, das Unerklärliche war an seine Stelle getreten. So hatte ich Manfred noch nicht gesehen, so kannte ich ihn nicht. Dann waren wir in Rankau. Gewiß, man freute sich, daß man wieder einmal seine Verwandten und Bekannten wiedersah. Viele waren in Schwarz, in Trauer – niemand konnte mehr von Herzen fröhlich sein. Jedes Jahr wurde eine solche Geburtstagfeier ernster. Das Schicksal lastete auf allen. Am nächten Morgen mußte Manfred nach Breslau, um von da aus nach Berlin zurückzufliegen. Ilse bat darum, ihren Bruder bis zur Bahn begleiten zu dürfen. Von der obersten Treppenstufe aus winkte ich dem davonrollenden Wagen nach. “Auf wiedersehen – auf ein Wiedersehen, mein Junge.” Ilse brachte Manfred an den Zug. Er stand bereits am Fenster, da sagte sie: “Sei doch, bitte, ein wenig vorsichtig, wir wollen us doch wiedersehen.” Darauf Manfred: “Kannst du dir vorstellen, Ilse, daß ich einen elenden Strohtod sterben könnte?” – – – Der Zug fuhr bereits. Ilse ging neben ihm her, ihre Augen hielten sich noch. Noch ein Händedruck, ein kurzes Grüßen, Winken – und der Zug war verschwunden. * Die ernste Stimmung, die Manfred hinterlassen hatte, hielt bei uns im Hause an. Sorgen, Gedanken, Mutlosigkeit – schlimme Geister, denen man mit Selbsucht begegnen muß.”

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