Lothar erzählt über MvR
Event ID: 326
25 September 1916
Source ID: 10
“Am 25. kam Lother, ganz überraschend… …Wir verlieren uns in alte Zeiten, und alles ist wieder freundlich und hell. Einmal, da schoß Manfred in blindem Jagdeifer fünf Enten tot – die auf der Weistritz schwammen. Es waren aber nur zahme. Doch es gab keine Strafe, weil er gleich die Wahrheit sagte. Und ein andermal, als wir im Walde streiften, da steht Manfred plözlich auf einem Steg, der über ein schwarzes Wasser fürht. Er sagt zu Lothar, wie selbstverständlich: “Paß auf du, ich falle jetzt ins Wasser.” Gleich darauf verschwand er in der wirklich pechschwarzen Flut. “Das war ein schöner Schrecken, weiß du noch?” Lothar weißt es noch, er lacht, daß der Glühpunkt seiner Zigarette an zu tanzen fängt; es ist schon schummerig im Zimmer. “Natürlich”, sagt er, “wir gingen dan zur Mühle, denn er roch nicht gut.” “Ja, ja, er mußte gebadet werden, mit sehr viel Seife.” “Und dann, der Heimweg. Eine Stunde Rückfahrt – und Manfred hatte nichts auf dem Leibe als das Hemd, das die Müllerin geborgt hatte, und den Kadettenmantel darüber, dazu war er barfuß.” “Es hat ihm nicht mal eine Erkältung eingetragen.” Immer möchte ich mit Lothar so sitzen und sprechen, aber morgen muß er wieder fort. Dieser Tag jedoch gehört noch uns, und manchmal haben wir bis in die Nacht schon geplaudert. “Einmal wollten wir euch Jungens aber richtig auf die Mutprobe stellen, Ilse und ich. Es ging doch das Geraune, oben auf dem Boden unseres Hauses habe ich früher mal jemand erhängt, und nun spuke es, weißt du noch, Lother?” “Fûr uns Jungens war das so nett gruselig. Nachts schurrte und polterte es oben auf dem Boden, und man hörte ein Ächzen – die Haushältersleute sagten so…” “Manfred war ganz wild darauf, diesen Spuk zu erleben, da ließen wier dein Bett, Lothar, und das Manfreds an die Stelle tragen…” “Wir hatten uns einen tüchtigen Knüppel mit ins Bett genommen; Manfred sagte, er woillte dem Geist schon heimleuchten.” “Der Geist – das waren wir, nämlich Ilse und ich, wir hatten uns leise nach oben geschlichen und rollten Kastanien über die Diele.” “Ich hörte es zuerst, ich lag mit offnen Augen vor Erregung. ‘Manfred’ rief ich, ‘Manfred!’ Der schlief ganz fest. Schließlich wachte er auf, ich hörte, wie er sich im Bett aufrichtete.” “Den Rest kann ich besser erzählen, denn es ging um unsere Haut. Mit einem Satz war er aus dem Bett und rannte mit geschwungenem Knüppel auf uns los. Ich mußte schnell Licht machen, sonst hätten wir schon Prügel bezogen.” “Manfred war damals vierzehn.” “Nein, dreizehn.” Lothar lacht herzlich. Am nächsten Tage habe ich ihn wieder zur Bahn gebracht…”
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