MvR fliegt nach Berlin aber muß landen in Leipzig
Event ID: 209
Categories:
04 May 1917
Source ID: 4
“Den Tag darauf flog ich nach Freiburg, um dort einen Auerhahn zu schießen. Von Freiburg aus benutzte ich ein Flugzeug, das nach Berlin flog. In Nürnberg wurde Benzin aufgefüllt. Da zog ein Gewitter auf. Ich hatte es aber dringend eilig, in Berlin anzukommen. Allerhand mehr oder weniger interessante Dinge warteten dort meiner. So flog ich trotz des Gewitters weiter. Mir machten die Wolken und das Schweinewetter Spaß. Es goß mit Kannen. Ab und zu etwas Hagel. Der Propeller sah nachher ganz toll aus, durch die Hagelkörner zerschlagen, wie eine Säge. Leider machte mir das Wetter so viel Spaß, daß ich darüber gänzlich vergaß aufzupassen, wo ich mich befand. Wie ich wieder die Orientierung aufnehmen will, habe ich keinen Dunst mehr, wo ich bin. Eine schöne Bescherung! In der Heimat »verfranzt«! Das mußte natürlich gerade mir passieren. Wie würden die zu Hause sich amüsieren, wenn sie das wüßten! Aber es war an der Tatsache nichts zu ändern. Ich wußte nicht mehr, wo ich war. Ich war durch den starken Wind und das niedrige Fliegen sehr abgetrieben worden und von meiner Karte heruntergekommen und mußte nun nach Sonne und Kompaß notdürftig die Richtung nach Berlin einhalten. Städte, Dörfer, Flüsse, Wälder jagen unter mir dahin. Ich erkenne nichts wieder. Ich vergleiche die Natur mit meiner Karte, aber vergeblich. Es ist alles anders. Ich bin eben tatsächlich nicht mehr im Bilde. Es ist mir nicht möglich, die Gegend wiederzuerkennen. Wie sich später herausstellte, war es allerdings auch ausgeschlossen, denn ich flog etwa hundert Kilometer neben meinem Kartenrand. Nach etwa zweistündigem Fluge entschlossen sich mein Führer und ich zu einer Notlandung. Dies ist immer was Unangenehmes, so ohne Flughafen. Man weiß nicht, wie die Erdoberfläche ist. Kommt ein Rad in ein Loch, ist die Kiste futsch. Erst versuchten wir noch, auf einem Bahnhof die Aufschrift der Station zu erkennen, aber Kuchen, natürlich war sie so klein aufgepinselt, daß man auch nicht einen Buchstaben erkennen konnte. Also müssen wir landen. Nur schweren Herzens, aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir suchen uns eine Wiese, die von oben ganz schön aussieht, und versuchen unser Heil. Leider sah die Wiese bei näherer Betrachtung nicht so schön aus. Dies konnte ich auch an einem etwas verbogenen Fahrgestell feststellen. So hatten wir uns denn völlig mit Ruhm bekleckert. Erst »verfranzt« und dann die Kiste zerschmissen! Wir mußten nun also mit einem ganz ordinären Fortbewegungsmittel, dem D-Zug, unsere weitere Reise nach der Heimat antreten. Langsam, aber sicher erreichten wir Berlin. Wir waren in der Nähe von Leipzig notgelandet. Hätten wir nicht die Dummheit gemacht, so wären wir gewiß noch nach Berlin gekommen, aber wie man’s macht, macht man’s falsch.”
This Post Has 0 Comments